Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
persönlich, hier spricht die deutsche Volksseele«, versuchte ich den Kollegen zu beruhigen.
Parallel zum OLG-Vorsitz verfasste ich meinen Staudinger -Kommentar, was dazu führte, dass ich fünf Jahre lang keinen Urlaub machte und jedes Wochenende in meinem Arbeitszimmer im Gericht saß. Ich hatte dort eine Mikrowelle, brachte mir eine Mahlzeit mit und arbeitete von morgens bis abends. Die Bürde, als erste Frau besonders gut sein zu müssen, lastete bei meiner Staudinger -Mitarbeit besonders schwer auf mir. Es war eine dermaßen anspruchsvolle, bedeutende Aufgabe, dass sie mir auch als hundertste Frau zu schaffen gemacht hätte. Aber so? Ich war voller Versagensängste, ich war tief unglücklich, wollte immer wieder aufgeben und durfte es nicht. Die erste Frau, die zur Mitarbeit am Staudinger eingeladen wurde, hat hingeworfen! Diese Nachricht hätte sich wie ein Lauffeuer verbreitet und dafür gesorgt, dass Juristinnen es auf allen möglichen Betätigungsfeldern – nicht nur beim Staudinger – noch schwerer gehabt hätten, als sie es ohnehin schon hatten. Zum ersten Mal seit meinem Studium gab es Tage, an denen ich mich beruflich überfordert fühlte.
Meine Aufgabe war, das neue elterliche Sorgerecht zu kommentieren, was in erster Linie bedeutete: Ich musste Zitate aus der Rechtsprechung und Literatur zusammenstellen. Akribisch, wie ich war, legte ich zwei Register an mit jeweils 10 000 Zitaten. Jedes Zitat überprüfte ich, denn bei allem, was ich nicht aus erster Hand hatte, konnten sich bereits Fehler eingeschlichen haben. Das war oft der Fall, sodass ich, um gefeit zu sein, auch noch ein Fehlzitatregister anlegte. So etwas hat außer mir vermutlich noch kein Mensch gemacht. Welcher Leser findet kleinste Zitatfehler? Und welche Konsequenz hat es, wenn tatsächlich einmal ein Fehlerchen gefunden wird? Rückblickend halte ich meine Arbeitsweise für pedantisch, aber dennoch für richtig.
Bei Autoren, die sich der herrschenden Meinung anschließen, ist die Stoffsammlung die Hauptarbeit. Bei anderen Autoren, die wie ich bisweilen eine abweichende Meinung haben, geht die Arbeit nach der Zitatensammlung erst wirklich los, man muss seine abweichende Haltung ausführlich begründen. Dies alles tat ich ohne Betreuung, denn Herr Professor Engler, der zuständige Bandredaktor, war zwischenzeitlich Minister in Baden-Württemberg geworden und telefonisch für mich praktisch nicht zu erreichen.
Den ersten Teil meiner Staudinger- Arbeit, etwa 400 bis 500 Seiten, schickte ich 1988 an Engler und erhielt daraufhin einen Brief, in dem sinngemäß stand: So geht das alles nicht.
Fünf Jahre Arbeit – umsonst? Das kam nicht in Frage. Aber ich war selbstverständlich auch nicht bereit, von meiner Meinung abzurücken. Ich schrieb Herrn Engler zurück, wir stritten uns, wir argumentierten hin und her. Er vertrat damals manch altmodische Vorstellungen von Familie und Kinder-erziehung. Warum hatte er mich, eine Kinderrechtlerin und Verfechterin moderner Familienstrukturen, aufgefordert, als Autorin zum Thema elterliches Sorgerecht tätig zu sein? Er musste gewusst haben, dass ich nicht nur konservative Werte feiern würde. Ich war nicht bereit, mich für angebliche Gewohnheitsrechte zu Lasten von Kindern auszusprechen. Ich bestand darauf, Kinder anzuhören, bevor über sie entschieden wurde. Ich war überzeugt davon, dass es Männer gibt, die in der Lage sind, Kinder allein zu erziehen. Und so weiter. Am Ende einigten Engler und ich uns nicht nur – der Professor änderte in vielen Punkten seine Meinung, auch ich gab hier und da nach. Schließlich schlug er mir vor, den ersten Teil meiner Staudinger- Arbeit als Dissertation einzureichen. Sie erschien unter dem Titel Das Recht zum Umgang mit dem eigenen Kinde. Im Jahr 1990 legte ich meine mündliche Prüfung, das sogenannte Rigorosum, an der Universität Freiburg ab und wurde zur Doktorin der Rechtswissenschaft promoviert. Und Prof. Engler und ich wurden gute Freunde und sind es bis heute.
Energie sparen? Nicht mit mir!
Es war ein Sonntagnachmittag im Winter, die Kinderfrau war da, meine Tasche war bereits im Auto verstaut, der Kühlschrank war voll, ich hatte alles gut vorbereitet. Ich war auf dem Sprung nach Karlsruhe. Am nächsten Morgen sollte eine zweitägige Verhandlung am Bundesverfassungsgericht beginnen, der Deutsche Juristinnenbund war aufgefordert worden, Stellung zu nehmen, diese Aufgabe fiel mir als Erste Vorsitzende zu. Bevor ich losfuhr, ging ich noch einmal
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