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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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Es ist nur noch eine reine Formsache.«
    Am 29. November rief mich mein ältester Beisitzer an und gratulierte mir. »Wozu?«, fragte ich.
    »Ich habe es eben im Rundfunk gehört, Sie werden OLG-Präsidentin.«
    Am 30. November kam ich morgens in die Universität Hamburg, wo ich einen Lehrauftrag hatte. Ein Meer von Blumen zierte das Pult im Vorlesungssaal. Meine Studenten reichten mir die Hände, sie waren ganz aufgekratzt, alle beglückwünschten mich. Sie hatten in der Zeitung gelesen, dass ich zur OLG-Präsidentin in Schleswig-Holstein bestimmt worden war. Mittags kam ich ins Gericht – auch dort ein Blumenmeer und viele Gratulanten. Um 15 Uhr erhielt ich einen Anruf vom Staatssekretär aus Kiel. »Haben Sie es schon erfahren?«
    »Ja«, sagte ich, »es steht ja in allen Zeitungen.«
    »Nein, nein, das meine ich nicht. Sie werden es nicht.«
    »Was? Wie bitte?«
    »Sie werden nicht OLG-Präsidentin.«
    »Machen Sie Scherze?«
    »Es tut mir leid, ich habe den Auftrag, Ihnen mitzuteilen, dass die Entscheidung zunächst für Sie ausging, nachträglich aber geändert wurde.«
    Bereits zweieinhalb Stunden zuvor hatte Björn Engholm die Presse informiert: Gerold Köhler, zuvor Vizepräsident am OLG in Schleswig, erhielt den Posten des OLG-Präsidenten.
    Wieder hatte ein männlicher Intrigant – übrigens nicht Köhler – alles darangesetzt, mich zu verhindern. Diesmal mit Erfolg. Aufgrund meiner Erfahrung am Hanseatischen OLG ging ich nun nicht mehr in die Knie. Vor dem Schlag in die Magengrube schützte mich die Rüstung, die ich erworben hatte. Außerdem war ich gar nicht mal so unglücklich, in Hamburg bleiben zu können.
    Wenn ich heute an den 30. November 1988 zurückdenke, sehe ich vor meinem inneren Auge eine Szene wie in einer Tragikomödie. Das Blumenmeer der Freude, das mich eben noch umgeben hatte, wirkte plötzlich wie das Werk eines übermütigen Trauerfloristen. Und ich mittendrin – wie auf einem Begräbnis erster Klasse, meinem eigenen Begräbnis. Die Szene hatte durchaus etwas Absurd-Komisches.
    Wenige Jahre später blieb ich erneut »zweite Siegerin«. Man hatte mich aufgefordert, mich als Hamburger Datenschutzbeauftragte zu bewerben. Ich hätte mir durchaus Aufgaben vorstellen können, die für mich interessanter gewesen wären. Aber ich bewarb mich brav, denn im Bereich Datenschutz war nicht nur in Hamburg das weibliche Geschlecht absolut unterrepräsentiert. Dennoch wurde es wieder ein Mann. Diese Niederlage prallte vollends an mir ab.

    In dem OLG-Senat, dem ich vorsaß, hatte ich zeitweilig bis zu fünf Beisitzer, vier Männer und eine Frau. Üblicherweise besteht ein Senat aus drei Richtern: dem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. Da wir doppelt so viele waren, wurde ein sogenannter A-Senat gebildet, sodass ich praktisch den Vorsitz zweier Senate innehatte: Senat 2 und Senat 2A. Das bedeutete auch: doppelt so viel Arbeit wie in einem regulären Senat.
    In unserem berühmtesten Fall spielten Hartbrandwichtel die Hauptrolle, besser bekannt als Gartenzwerge. Sie waren bereits durch zwei Instanzen marschiert, Amtsgericht und Landgericht. Die Frage lautete: Durften Gartenzwerge sich auf Wunsch eines einzelnen Wohnungseigentümers dauerhaft im gemeinschaftlichen Vorgarten einer Wohnanlage aufhalten? Eine Miteigentümerin einer Wohnanlage forderte die Umsiedlung der Wichtel, der Zwergaufsteller weigerte sich, sie aus dem Vorgarten zu entfernen. Es war ein juristisch komplizierter sowie emotional schwer befrachteter Fall. Mein ältester Beisitzer bearbeitete die Hartbrandwichtelsache mit größter Akribie. Er stieg in die Historie der Figuren ein, erforschte ihren Ursprung, erarbeitete eine Kulturgeschichte des deutschen Gartenzwergs vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
    Am Ende kamen wir zu dem Ergebnis: Niemand darf etwas auf eine Gemeinschaftsfläche stellen ohne Einverständnis der anderen Grundstücksinhaber. Das gilt auch für Gartenzwerge, trotz ihrer großen kulturellen Bedeutung. In der Presse brach ein Sturm der Entrüstung aus. Die Bild -Zeitung zeigte ein Foto von mir auf der Titelseite und schrieb: »Diese Frau verbietet Gartenzwerge!« Ich erhielt Briefe mit Morddrohungen, der OLG-Präsident erstattete Strafanzeige gegen die Absender. Die Sache beschäftigte uns noch lange. Und der zuständige Beisitzer sagte ganz geknickt: »Ich hab’s doch so gut begründet!« Das hatte er tatsächlich, aber es interessierte die Bild -Zeitung und ihre Leser nicht. »Nehmen Sie’s bloß nicht

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