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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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durchs Haus, schaute routinemäßig auch in den Heizungsraum und stellte fest: Wasser musste nachgefüllt werden. Schnell holte ich den Schlauch und war wohl etwas gedankenverloren, als ich ihn anschließen wollte. Kochend heißes Wasser schoss mir entgegen und verbrühte meine Beine. Die Haut wurde rot, Blasen bildeten sich, zuerst wollte ich es nicht wahrhaben, aber dann sah ich ein: Ein Notarzt musste kommen. Er legte mir großflächige Brandverbände an. Ich hatte furchtbare Schmerzen.
    Schnell packte ich eine weitere Tasche mit mehreren Kostümen und dazu passenden Blusen. Dann fuhr ich los. An den zwei Tagen der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe zog ich mich jeweils zweimal um, in der Mittagspause und am Nachmittag. Denn wie erwartet sickerte das Wundwasser durch die Verbände, meine Röcke wurden feucht. Am zweiten Morgen nahm mich eine Verfassungsrichterin, mit der mich eine nette Bekanntschaft verband, zur Seite. »Wir haben Wetten abgeschlossen, in welcher Kleidung Sie heute Nachmittag auftreten«, erzählte sie mir. »Wir freuen uns schon immer auf Ihr nächstes Gewand.« Als ich ihr den Grund für meine Kostümschau erklärte, erschrak sie. »Um Gottes willen! Warum sind Sie nicht zu Hause geblieben?« – »Das geht nicht. So schnell kann kein Ersatz beschafft werden, und außerdem: Es sind doch nur die Beine«, entgegnete ich. »Solange mein Kopf funktioniert, kann und werde ich meine Aufgaben wahrnehmen.«
    Ich gebe zu, dass ich das Gefühl hatte, beinahe an meine Belastungsgrenze zu stoßen. Aber ich stehe zu dem, was ich tat und sagte. Schwäche zu zeigen und Einschränkungen hinzunehmen, aus Krankheitsgründen eine Aufgabe nicht zu erfüllen: Dafür bin ich nicht gemacht.
    In meinem ganzen Berufsleben habe ich nicht einen Tag krankheitsbedingt gefehlt – ausgenommen die wenigen »Unfälle«, die mich außer Gefecht setzten ; wie der dreifache Beckenbruch bei der Geburt meines Sohnes ; oder die Eingriffe an den Augen, bei denen ich künstliche Linsen implantiert bekam. Ich ließ sie im Urlaub vornehmen. Aber Grippe, Magenprobleme, Rückenschmerzen? Kenne ich zwar, sie hindern mich aber letzten Endes nicht. Ich stehe jeden Morgen um sechs Uhr auf, auch am Wochenende, und fühle mich fit. Jeden Tag habe ich volles Programm, ich langweile mich nie, bin voller Energie und nutze sie. Woher ich sie nehme, diese Energie, kann ich nicht erklären. Sie steckt in mir. Vielleicht kommt sie daher, dass ich immer Ziele habe, mich immer für etwas einsetze, wovon ich überzeugt bin.
    Kürzlich ging es meiner Sekretärin nicht gut, sie fragte, ob sie früher nach Hause gehen dürfe.
    »Natürlich gehen Sie früher, ich bitte Sie!«, antwortete ich. »Sie können auch morgen zu Hause bleiben, wenn Ihre Verfassung sich nicht bessert. Das ist doch selbstverständlich.«
    »Danke! Aber es ist mir ein bisschen unangenehm, wenn ich bedenke, dass wir uns jetzt zehn Jahre kennen, und Sie haben sich nicht einen Tag krankgemeldet.«
    »Das sollte Sie nicht kümmern. Die Menschen sind nun einmal unterschiedlich. Manche haben mehr, manche haben weniger Kraft, Gesundheit und Ausdauer. Das ist doch in Ordnung.«
    Weniger akzeptabel erscheinen mir dagegen die mangelnde Ausdauer, die vorschnelle Resignation oder auch die unkritische Zufriedenheit mit sich und der beruflichen Situation, die ich bei manchen Menschen beobachte, die meinen, ihre Kraft reiche nicht für mehr. Dahinter kann Bequemlichkeit stecken, Mutlosigkeit, ein ausgeprägtes Harmoniebedürfnis oder eine Mischung aus allem. Wenn ich feststelle: Mein Kollege hat eine Gehaltserhöhung bekommen und ich wieder nicht. Oder: Mein einstiger Auszubildender ist an mir vorbeigezogen. Dann kann ich denken: Ach, schade, Pech gehabt – und resignieren und mich selbst bemitleiden oder mich damit trösten, dass es Schlimmeres gibt. Ich kann aber auch die Ärmel hochkrempeln und mir vornehmen: Das passiert dir nicht noch einmal! Dafür braucht man vor allem Konfliktbereitschaft, Ehrgeiz, Willen und Mut. Die nötige Energie kommt dann oft von allein, sie generiert sich aus dem persönlichen Engagement.
    Die meisten Menschen wünschen sich einen liebevollen Partner, ein schönes Zuhause, ein oder zwei nette Kinder, ein Auto, ein Hobby und die Möglichkeit, Urlaubsreisen zu unternehmen. Wenn es um solche Ziele geht, ist fast nie die Rede von mangelnder Energie. Auch wenn es darum geht, den Partner bei dessen Karriere zu unterstützen, können vor allem Frauen eine Menge Kraft

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