Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
immer leise. Sie hatte es weniger schwer mit der Beförderung und wurde etwa ein halbes Jahr nach mir Senatspräsidentin.
Erste weibliche Senatspräsidentin am Hanseatischen Oberlandesgericht zu sein war für mich eine schöne Herausforderung und eine schwere Bürde. Hätte ich Fehler gemacht, hätten nachfolgende Frauen es umso schwerer gehabt. Wie ein starker, perfekt arbeitender Schneepflug musste ich vorangehen und den Weg frei halten. Nicht nur aufgrund meines Geschlechts, auch wegen der Intrigen rund um meine Wahl war ich umzingelt von Menschen, die darauf warteten, dass mir ein Fehler unterlief. Deshalb verlangte ich mir selbst stets höchste Qualität ab. Meine Freunde und Feinde durften erleben, dass mir Gott sei Dank in meiner gesamten Zeit als Senatspräsidentin kein erwähnenswertes Missgeschick unterlief.
Die Frage, warum ich mir das alles zumutete, habe ich mir nur selten gestellt, und wenn, dann konnte ich sie sofort beantworten: Ich wollte Einfluss nehmen, ich wollte gestalten können, ich wollte, dass Frauen an der Macht beteiligt werden. Das Wort »Macht« bereitet nicht wenigen Frauen Unbehagen. Macht fühlt sich für sie beängstigend an oder sehr männlich. Das muss sich ändern. Wer etwas bewirken möchte, braucht Macht. Deshalb ist Macht etwas Gutes, Positives. Vorausgesetzt, man macht davon fairen Gebrauch. Wer behauptet, Macht und Menschlichkeit schlössen einander aus, hat nicht zu Ende gedacht. Ein Mächtiger oder eine Mächtige muss nicht automatisch ein Unterdrücker, eine Unterdrückerin sein, im Gegenteil: Nur wer Macht hat, kann Gerechtigkeit und Menschlichkeit auch gegen Widerstände durchsetzen.
Mit Macht geht oft Konfliktbereitschaft einher – auch sie erscheint manchen Frauen nicht erstrebenswert. Ihr Harmoniebedürfnis ist groß, sie verzichten lieber auf Einfluss, als einen Streit auszufechten. Sie fürchten Ablehnung, sie möchten geliebt werden. Bei meinen Vorträgen in der Bertelsmann Business Women School entdecke ich tiefe Sorgenfalten auf der Stirn junger Managerinnen, wenn ich über offene Konfrontationen spreche. Manche haben Angst davor, sie möchten keine Kämpferinnen sein, sie wollen anerkannt und geliebt werden. Ich kann das sehr gut verstehen. Aber wenn ich Ziele im Leben habe, muss ich dafür kämpfen, muss ich Missgunst und Widerstände riskieren. Habe ich mit meinem Anliegen Erfolg, werde ich am Ende sehr wahrscheinlich auch Anerkennung ernten – neben der Ablehnung derer, denen durch mein Einwirken Privilegien abhandengekommen sind.
Will ich, oder will ich nicht? Ich lief den Strand hinauf, ich lief den Strand hinunter, es war ein sonniges Wochenende auf Sylt, das Licht glitzerte auf dem Wasser. Aber davon nahm ich kaum Notiz. Björn Engholm, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, hatte mich angerufen. In dem Bundesland sollte ein neuer Präsident des Oberlandesgerichts eingesetzt werden, Engholm wünschte sich eine Präsidentin. Die schleswig-holsteinische SPD hatte beschlossen, qualifizierte Frauen besonders zu fördern. Auch in der Stellenausschreibung wandte man sich ausdrücklich an »qualifizierte Frauen«. Engholm bat mich darum, mich zu bewerben. Es war das Jahr 1988, ich war gerade der SPD beigetreten, deshalb duzten wir uns. »Ich weiß nicht, Björn. Ich bin gern hier am OLG in Hamburg. Ich mag meine Arbeit«, erklärte ich ihm. Andererseits wusste ich, dass es bis dahin keine einzige Frau an die Spitze eines deutschen Oberlandesgerichtes geschafft hatte. Durfte ich ablehnen, wenn mir ein solcher Posten in Aussicht gestellt wurde?
Ich bat den Ministerpräsidenten um drei Tage Bedenkzeit, fuhr nach Sylt, ging spazieren und ließ mir den schleswig-holsteinischen Wind um die Nase wehen. Meine Gefühle sagten mir: Du bist Hamburgerin, du bist zufrieden mit deiner Arbeit, geh nicht in den Norden! Der Verstand hielt dagegen: Die Justiz ist nach wie vor so konservativ, und Frauen haben es so schwer, dort aufzusteigen. Jetzt wird dir ein Aufstieg auf einem silbernen Tablett angeboten, da kannst du nicht nein sagen!
Der Verstand siegte. Zurück in Hamburg, informierte ich Björn Engholm und reichte meine schriftliche Bewerbung ein.
Anders als in Hamburg wurde der OLG-Präsident in Schleswig-Holstein nicht vom Richterwahlausschuss gewählt, sondern es handelte sich um eine Entscheidung der Landesregierung. Ich bekam Nachricht aus Kiel: »Kein Zweifel, Sie werden OLG-Präsidentin. Das Kabinett tagt am 29. November und wird sich für Sie entscheiden.
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