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Kampfgeräusche über uns endeten nicht schlagartig, ließen aber langsam nach. Und irgendwann wurde es still.
Nach einer Weile brachen Wachen auf, um die Lage zu sondieren und den Palast zu durchsuchen. Es verging geraume Zeit, bis sie zurückkehrten.
»Meine Damen und Herren«, verkündete ein Wachmann, »die Rebellen sind vertrieben worden. Bitte gehen Sie nun über die Hintertreppen in Ihre Zimmer zurück. Sie werden überall auf Verwundete stoßen; meiden Sie deshalb die Flure und Haupträume, bis dort für Ordnung gesorgt ist. Die Erwählten begeben sich bitte auf ihre Zimmer und warten dort auf weitere Anordnungen. Das Küchenpersonal ist informiert, binnen einer Stunde wird man Ihnen etwas zu Essen bringen. Sämtliche Pflegekräfte melden sich bitte bei mir auf der Krankenstation.«
Alle standen auf und bewegten sich gelassen Richtung Ausgang. Einige Leute sahen sogar recht gelangweilt aus, als seien sie das alles gewöhnt.
Mein Zimmer war verwüstet worden. Die Matratzen lagen auf dem Boden, Kleider waren aus dem Schrank gezerrt worden, die Bilder von meiner Familie zerrissen. Ich hielt Ausschau nach meinem Glas und fand es schließlich unter dem Bett, unbeschädigt und mitsamt dem Penny. Ich wollte nicht weinen, aber mir kamen dennoch die Tränen. Die Vorstellung, dass Feinde meine persönlichen Dinge berührt hatten, war schlimm für mich.
Da meine Zofen und ich so erschöpft waren, brauchten wir lange zum Aufräumen, aber wir schafften es schließlich. Anne trieb sogar Klebeband auf, damit ich die Fotos wieder zusammenfügen konnte. Danach schickte ich die drei ins Bett. Anne protestierte zwar, aber das duldete ich nicht. Nun, da ich ein bisschen Erfahrung hatte im Erteilen von Befehlen, tat ich es auch ungeniert.
Als ich alleine war, gestattete ich mir, meinen Tränen freien Lauf zu lassen. Meine Angst hatte zwar nachgelassen, aber ich spürte sie noch im Körper.
Ich zog die Jeans an, die Maxon mir geschenkt hatte, und eine Bluse von zu Hause, um mich so normal wie möglich zu fühlen. Meine Haare waren völlig zerzaust von den Strapazen, und ich steckte sie in einem losen Knoten hoch.
Dann legte ich die zerfetzten Fotos auf dem Bett aus und versuchte die Teile zu finden, die zusammengehörten. Es war, als habe man vier unterschiedliche Puzzle durcheinandergemischt. Ich hatte gerade ein Bild repariert, als es klopfte.
Maxon , dachte ich. Bitte Maxon. Erwartungsvoll riss ich die Tür auf.
»Hallo.« Es war Silvia. Sie zog eine kleine Schnute, die wohl tröstlich wirken sollte, kam rasch herein und musterte mich.
»Oh, Sie reisen doch hoffentlich nicht auch ab«, sagte sie anklagend, als sie meinen Aufzug sah. »Dafür gibt es nämlich keinen Grund. Dieser Angriff war doch eine Lappalie.«
Ihre Meinung konnte ich nicht teilen. Und merkte sie nicht, dass ich geweint hatte?
»Ich reise nicht ab«, sagte ich und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Gibt es andere, die das tun?«
Silvia seufzte. »Ja, drei. Und Maxon, der Liebe, hat mir gesagt, dass ich alle gehen lassen soll, die es wünschen. Die Vorbereitungen werden schon getroffen. Es ist seltsam: Er schien zu ahnen, dass einige freiwillig ausscheiden wollen. Ich an ihrer Stelle würde mir gut überlegen, wegen so eines Blödsinns gleich das Handtuch zu werfen.«
Sie streifte durch mein Zimmer und betrachtete die Einrichtung. Blödsinn? Wie bitte? Was für ein Problem hatte diese Frau?
»Haben sie irgendwas gestohlen?«, fragte Silvia beiläufig.
»Nein, Ma’am. Sie haben Chaos hinterlassen, aber bislang scheint nichts zu fehlen.«
»Sehr gut.« Sie kam zu mir und reichte mir ein kleines Mobiltelefon. »Das ist die sicherste Verbindung im Palast. Beruhigen Sie Ihre Familie. Aber machen Sie es möglichst kurz, ich muss noch zu anderen Mädchen.«
Begeistert betrachtete ich das kleine Telefon. So ein Gerät hatte ich noch nie in der Hand gehalten. Bei Zweiern und Dreiern hatte ich solche Telefone schon gesehen, aber ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal selbst eines benutzen würde. Meine Hände zitterten vor Aufregung, als ich es entgegennahm. Ich würde meine Familie hören können!
Schnell wählte ich die Nummer, und dabei trat unwillkürlich ein Lächeln auf mein Gesicht. Ich horchte auf das Freizeichen. Meine Mutter nahm meist nach dem zweiten Klingeln ab.
»Hallo?«, hörte ich sie.
»Mom?«
»America, bist du das? Oh, ist alles in Ordnung mit dir? Wir haben uns schon solche Sorgen gemacht. Ein Wachmann hat
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