Selection
Mädchen sind schüchtern, aber ich habe vielleicht eine Freundin gefunden. Erinnert ihr euch an Marlee aus Kent? Ich habe sie auf dem Flug nach Angeles kennengelernt. Sie ist klug und nett. Falls ich bald nach Hause kommen sollte, hoffe ich, dass sie es bis zum Ende schafft.
Den Prinzen habe ich mittlerweile auch kennengelernt. Genauso wie den König und die Königin. Wenn man sie persönlich erlebt, wirken sie noch majestätischer als im Fernsehen. Mit ihnen habe ich noch nicht gesprochen, aber mit Prinz Maxon. Er ist ein erstaunlich großzügiger Mensch … glaube ich.
Leider muss ich schließen. Aber ich liebe euch und vermisse euch und schreibe euch wieder, sobald ich kann.
Alles Liebe von eurer
America.
Ich dachte mir, dass in diesem Brief nichts Beunruhigendes stand, aber ich konnte mich natürlich irren. May würde ihn wahrscheinlich regelrecht studieren und nach verborgenen Hinweisen auf mein Leben im Palast suchen. Ich fragte mich, ob sie den Brief lesen würde, bevor sie die Törtchen aß.
PS: May, findest du die Törtchen nicht so gut, dass dir die Tränen kommen?
So. Ich konnte es ja zumindest einmal versuchen?…
Aber es nützte nichts. Abends klopfte ein Butler an meine Zimmertür und überbrachte einen Umschlag von meiner Familie und einen Bericht.
»Ihre Schwester hat nicht geweint, Miss. Sie sagte, die Törtchen seien so gut, dass einem die Tränen kommen könnten – wie Sie gesagt hatten –, aber sie weinte nicht. Ihre Majestät wird Sie morgen um fünf Uhr nachmittags zu einem Spaziergang abholen. Seien Sie dann bitte bereit.«
Es machte mir nicht sonderlich viel aus, dass ich die Wette verloren hatte, aber ich hätte wirklich gerne Hosen getragen. Doch zumindest besaß ich jetzt Briefe von meiner Familie. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass ich zum ersten Mal länger als nur ein paar Stunden von ihnen allen getrennt war. Wir hatten kein Geld, um zu verreisen, und da ich ohne Freunde aufgewachsen war, hatte ich nicht einmal anderswo übernachtet. Wenn ich nur täglich Briefe von zu Hause bekommen könnte, dachte ich sehnsüchtig. Möglich wäre es wohl, aber das musste ungeheuer kostspielig sein.
Als Erstes las ich den Brief von Dad. Er schrieb begeistert, wie wunderschön ich ausgesehen hätte im Fernsehen und wie stolz er auf mich sei. Und dass ich keine drei Schachteln Törtchen hätte schicken sollen, May würde noch ganz verwöhnt. Drei Schachteln, du lieber Himmel!
Außerdem sei Aspen bei ihnen gewesen, um im Büro zu helfen; er habe ihm eine Schachtel mitgegeben für seine Familie.
Was ich davon halten sollte, war mir nicht recht klar. Einerseits fand ich es gut, dass Aspens Familie eine Leckerei zu essen bekam. Andererseits war es natürlich möglich, dass Aspen seiner neuen Freundin etwas davon abgab. Und stolz darauf war, dass zur Abwechslung er einmal jemanden verwöhnen konnte. Ich fragte mich, ob er wohl froh war, mich losgeworden zu sein.
Ich konnte mich nicht recht von diesen Zeilen lösen und geriet eine Weile ins Grübeln.
Schließlich schrieb Dad, er freue sich sehr, dass ich eine Freundin gefunden hätte. Vor allem, weil das früher immer so schwierig für mich gewesen sei.
Ich strich mit dem Finger über Dads Unterschrift. Mir war noch nie aufgefallen, wie sonderbar sie aussah.
Gerads Brief war kurz und aufs Wesentliche beschränkt. Er schrieb, dass er mich vermisste und lieb hatte und dass ich noch mehr Essen schicken sollte. Ich musste lachen, als ich das las.
Moms Brief klang bevormundend wie immer. Sie gratulierte mir dazu, dass ich bereits jetzt die Zuneigung des Prinzen gewonnen hätte – sie hatte von Justin erfahren, dass nur meine Familie ein Geschenk vom Königshaus erhalten hatte –, und wies mich an, unbedingt so weiterzumachen.
Na klar, Mom, ich werde dem Prinzen weiterhin klarmachen, dass er nicht den Hauch einer Chance bei mir hat, und ihn so oft wie möglich beleidigen. Prima Plan.
Ich war froh, dass ich mir Mays Brief für zuletzt aufgehoben hatte.
Ihr Brief war total überschwänglich. Sie gab zu, dass sie neidisch auf mich wäre, weil ich die ganze Zeit so gutes Essen bekäme. Und beklagte sich darüber, dass Mom sie nun noch schlimmer herumkommandiere als vorher. Ich wusste, wie ihr zumute war. Dann folgte ein Fragenkatalog. War Maxon wirklich so süß, wie er im Fernsehen wirkte? Welche Kleider trug ich? Konnte sie mich im Palast besuchen kommen? Hatte Maxon vielleicht noch einen Bruder, der sie eines Tages heiraten würde?
Ich
Weitere Kostenlose Bücher