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anderen Mädchen sahen sich auch verwirrt an. Weshalb, wurde mir erst bewusst, als Marlee mir etwas zuraunte.
»Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand den Prinzen im Großen Saal angeschrien hätte. Du?«
Maxon schien vergessen zu haben, dass unsere erste Begegnung eigentlich ein Geheimnis bleiben sollte.
»Ich glaube, er bauscht das Ganze ein bisschen auf, damit es unterhaltsam wird«, raunte ich zurück. »Ich habe schon ernsthafte Dinge mit ihm besprochen. Vielleicht meint er mich.«
»Schelte? Wofür denn?«, fragte Gavril weiter.
»Ehrlich gesagt, habe ich das gar nicht verstanden. Es handelte sich vermutlich um einen Fall von heftigem Heimweh. Deshalb habe ich der jungen Dame ihr Benehmen natürlich auch verziehen.« Maxon wirkte komplett gelassen und sprach mit Gavril, als sei der Moderator der einzige Mensch im Raum. Ich musste dem Prinzen später unbedingt ein Kompliment für seinen Auftritt machen.
»Sie weilt also immer noch unter uns?« Gavril wandte sich zu uns und grinste breit. Dann sah er wieder den Prinzen an.
»Oh ja. Sie ist immer noch hier«, antwortete Maxon und blickte an Gavril vorbei. »Und das soll auch noch eine ganze Weile so bleiben.«
15
Das Abendessen war eine Enttäuschung. Ich musste meinen Zofen unbedingt sagen, dass sie beim nächsten Kleid mehr Platz für das Essen lassen sollten.
Die drei warteten in meinem Zimmer darauf, mich umzuziehen, aber ich erklärte ihnen, dass ich das Kleid noch eine Weile anbehalten wollte. Weil ich die beengende Kleidung sonst nicht schnell genug loswerden konnte, kam Anne als Erstes darauf, dass Maxon mich besuchen würde.
»Sollen wir heute länger bleiben? Kein Problem«, sagte Mary hoffnungsvoll. Aber nach den Erfahrungen bei Maxons Spontanbesuch fand ich es am besten, die Mädchen so früh wie möglich wegzuschicken. Außerdem wollte ich nicht, dass sie mich beobachteten, während ich auf ihn wartete.
»Nein, nein. Ich komme schon zurecht. Sollte ich später Schwierigkeiten mit meinem Kleid haben, klingle ich.«
Etwas widerstrebend zogen die drei sich zurück und überließen mich dem Warten. Ich wusste nicht, wann Maxon kommen würde, und wollte nicht anfangen zu lesen, wenn ich womöglich gleich wieder aufhören musste. Und beim Klavierspielen abzubrechen, fühlte sich auch nicht gut an. Schließlich legte ich mich einfach aufs Bett und gab mich meinen Gedanken hin. Ich dachte an die liebe Marlee und merkte, dass ich kaum etwas über sie wusste. Dennoch glaubte ich, dass sie aufrichtig war und ich ihr vertrauen konnte. Dann dachte ich an die anderen Mädchen, die künstlich und falsch wirkten, und fragte mich, ob Maxon diese Unterschiede spüren konnte.
Im Umgang mit Frauen schien der Prinz erfahren und unerfahren zugleich zu sein. Er verhielt sich wie ein Gentleman, doch sobald Frauen ihm nahekamen, geriet er in Verwirrung. Offenbar wusste er, wie man eine Dame behandelt, aber ein Rendezvous brachte ihn aus der Fassung.
Er war so anders als Aspen.
Aspen.
Die Erinnerungen an ihn brachen so heftig über mich herein, dass ich sie nicht wegdrängen konnte. Aspen. Was machte er wohl gerade? In Carolina nahte die Sperrstunde. Wenn er heute jobbte, würde er wohl noch arbeiten. Oder aber er war mit Brenna oder einem anderen Mädchen zusammen, mit dem er sich vielleicht inzwischen eingelassen hatte. Ein Teil von mir sehnte sich danach, es zu wissen … aber ein anderer Teil litt unerträgliche Schmerzen.
Ich blickte auf das Pennyglas. Nahm es in die Hand und ließ die Münze darin herumrollen. Sie war so einsam.
»Ich auch«, flüsterte ich. »Ich auch.«
War es dumm von mir, dieses Glas aufzubewahren? Alles andere hatte ich Aspen zurückgegeben – wieso hatte ich diesen Penny behalten? Würde das alles sein, was mir von Aspen blieb? Ein Penny in einem Glas, den ich eines Tages meiner Tochter zeigen konnte, wenn ich ihr von meinem ersten Freund erzählte – einer geheimen Liebe, von der niemand wusste.
Ich hatte nicht viel Zeit, mich meinen Grübeleien hinzugeben. Bald hörte ich ein energisches Klopfen und lief zur Tür.
Ich riss sie auf, und Maxon sah mich überrascht an.
»Wo sind denn Ihre Zofen geblieben?«, fragte er und spähte an mir vorbei ins Zimmer.
»Ich habe sie nach dem Abendessen weggeschickt.«
»Machen Sie das immer so?«
»Ja, natürlich. Ich kann mich schließlich selbst ausziehen, besten Dank auch.«
Maxon zog die Augenbrauen hoch und lächelte. Ich lief rot an. Das war nicht sehr dezent
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