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Wangen, bevor sie sich niederließ. Ihre Antworten waren vorhersehbar, ebenso wie die von Bariel nach ihr: Beide spielten ihre Reize aus und beugten sich häufig vor, damit die Kameras Einblick in ihr Dekolleté bekamen. Ihr Auftritt wirkte gekünstelt. Ich beobachtete auf den Monitoren, wie sie beide immer wieder zu Maxon blickten und ihm zublinzelten. Bariel leckte sich auch immer wieder betont die Lippen, und wenn Marlee und ich uns einen Blick zuwarfen, mussten wir rasch wegschauen, um nicht zu lachen.
Andere benahmen sich weniger auffällig. Tiny machte einen schüchternen Eindruck, und ihre Stimme klang piepsig. Aber ich wusste, dass sie eigentlich in Ordnung war und nun inständig hoffte, dass Maxon sie wegen ihres zurückhaltenden Auftretens in der Öffentlichkeit nicht aussortieren würde. Emmica und Marlee wirkten beide überzeugend; allerdings wurde Marlees Stimme vor Begeisterung und Aufregung beim Sprechen immer höher.
Gavril stellte unterschiedliche Fragen, aber zwei kamen bei jedem Interview vor: Wie finden Sie Maxon? Und: Sind Sie das Mädchen, das den Prinzen angeschrien hat? Mir graute vor der Vorstellung, dem ganzen Land erzählen zu müssen, dass ich den künftigen König beleidigt hatte. Wenigstens war nur dieses eine meiner Vergehen bekannt geworden.
Alle Mädchen taten stolz kund, dass sie den Prinzen nicht angeschrien hätten. Und alle antworteten, sie fänden Maxon nett. Fast alle Erwählten benutzten dieses Wort: nett. Celeste fügte noch hinzu, Maxon sei attraktiv. Bariel bezeichnete ihn als ungemein kraftvoll , was ich absolut grausig fand. Gavril fragte einige Mädchen, ob Maxon sie schon geküsst habe. Alle erröteten und verneinten die Frage. Nach dem viertem Nein wandte sich Gavril zu Maxon.
»Sie haben noch keine der jungen Damen geküsst?«, fragte er erschüttert.
»Sie sind doch erst seit zwei Wochen hier!«, antwortete Maxon. »Für welche Sorte Mann halten Sie mich eigentlich?« Sein Tonfall war locker, aber die Frage schien ihm unangenehm zu sein. Mir kam der Gedanke, dass er möglicherweise noch gar keine Erfahrung mit Küssen hatte.
Samantha beschloss ihr Interview mit den Worten, dass sie ihre Zeit im Palast sehr genieße. Danach rief Gavril mich auf, und die Erwählten applaudierten wie für alle anderen auch. Ich warf Marlee ein nervöses Lächeln zu, als ich aufstand. Auf dem Weg zur Bühne konzentrierte ich mich auf meine Füße. Als ich Gavril die Hand geschüttelt und mich auf dem Stuhl niedergelassen hatte, merkte ich, dass ich von dort aus Maxon gut im Blick hatte. Er zwinkerte mir zu, als ich das Mikrofon ergriff, und ich wurde sofort ruhiger – ich musste hier keine große Schlacht schlagen.
Aus der Nähe konnte ich Gavrils Anstecknadel genau erkennen. Nicht nur das Forte-Zeichen war darauf eingraviert, sondern auch ein kleines X in der Mitte, sodass eine Art Stern entstand. Es sah wunderschön aus.
»America Singer. Ein interessanter Name. Gibt es dazu eine Geschichte?«
Ich seufzte erleichtert. Das war eine einfache Frage.
»Ja, die gibt es tatsächlich: Als meine Mutter mit mir schwanger war, habe ich sie wohl ziemlich oft getreten. Sie sagte daraufhin, ich würde eine Kämpferin werden, und gab mir den Namen des Landes, das so hart gekämpft hat, um zu überleben. Das ist ein wenig sonderbar, aber sie hat ja recht behalten – der Kampf zwischen ihr und mir geht immer weiter.«
Gavril lachte. »Ihre Mutter scheint eine temperamentvolle Frau zu sein.«
»Ist sie. Meinen Trotz habe ich auch von ihr geerbt.«
»Aha, Sie sind also trotzig? Und manchmal vielleicht ein bisschen aufbrausend?«
Ich sah, wie Maxon sich die Hände vor den Mund hielt, um sein Lachen zu verbergen.
»Na ja, manchmal.«
»Und wenn Sie so aufbrausend sind, haben Sie dann vielleicht auch unseren Prinzen angeschrien?«
Ich seufzte. »Ja, das war ich. Und meine arme Mutter kriegt jetzt bestimmt einen Herzanfall.«
Maxon rief Gavril zu: »Sie soll die ganze Geschichte erzählen!«
Gavril schaute rasch zwischen uns hin und her. »Ach so? Na, dann erzählen Sie doch mal die ganze Geschichte!«
Ich versuchte, Maxon finster anzublicken, aber die Lage war so verworren, dass es mir nicht gelang.
»Am ersten Abend«, begann ich, »war ich … ein bisschen durcheinander und wollte unbedingt nach draußen an die frische Luft. Aber die Wachen wollten mich nicht in den Garten lassen. Mir wurde schwindlig, und ich wäre in den Armen eines Wachmanns fast ohnmächtig geworden. Da kam
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