Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
dem Sofa ein wenig zur Seite gerückt, sogar Schiely hatte ihr Platz gemacht. Aber sie konnte nicht ruhig dasitzen.
Zu gern hätte sie geraucht, dabei hatte sie schon vor einiger Zeit damit aufgehört. Glücklicherweise waren keine Zigaretten im Haus.
Dann war sie ins Bad gegangen und hatte noch mal geduscht. Während die barocken Töne der Goldbergvariationen leise durch die Schlafzimmerwände drangen, tauchte immer wieder das völlig verstörte und fassungslose Gesicht der Gertraud Halber vor ihr auf.
Als sie sich später ins Bett legte, konnte sie nicht einschlafen. Auch sie hätte sich von Gustav Wiener Valium geben lassen sollen. Und dann musste sie an den Gerichtsmediziner denken: Wenn Gustav Wiener heimkam, wartete niemand auf ihn. Wie das wohl war, sich in einem Leben ohne Partner und Freunde einzurichten, mit einer Mutter auf dem Friedhof und einem Vater im Pflegeheim?
Franziska seufzte und war sich fast sicher, dass Gustav sich mit der Leiche in die Rechtsmedizin zurückgezogen hatte und dort die Nacht verbringen würde. Bei seiner Behauptung, nach mindestens zweihundert Schrotkügelchen suchen zu müssen, hatte er fast ein wenig erleichtert geklungen. Die Toten machten ihm weniger Angst als seine leere Wohnung.
Und während sie noch darüber nachdachte, ob und wie Gustav zu erlösen sei, war Kater Schiely auf ihr Bett gesprungen und hatte es sich zu ihren Füßen bequem gemacht. Um ihn nicht zu verscheuchen, blieb sie ganz still liegen – und musste dann doch eingeschlafen sein.
»Wir wollten heute auf den Lusen steigen, um aus der Höhe von tausendvierhundert Metern übers Land zu schauen«, fuhr Bruno fort. »Er hat gesagt, dass wir bei dieser Wanderung so viele Klimazonen durchqueren, als würden wir von Bayern bis nach Nordschweden wandern. Aber weil ich Depp auf meinen AB geschaut habe, gab’s keinen Lusen , sondern nur zwei Loser . Das hat er gesagt. Dass wir zwei Verlierer sind.« Bruno sprach dieses »Er« aus, als existiere es nur in Großbuchstaben.
»Komm«, beruhigte Franziska ihn. »Dieser Lusen geht euch nicht verloren. So ein Berg verschwindet nicht so schnell. Warst du eigentlich schon in der Technik?«
»Ja.« Er nickte. »In der Technik und in der Gerichtsmedizin.«
»Und?«
»Die haben alle elf Gewehre untersucht, und es wurde aus allen geschossen – außerdem, man glaubt es kaum, auch noch aus allen elfen mit exakt der gleichen Munition. Nämlich mit der Munition, die deinem Bibliothekar zum Verhängnis wurde.«
»Willst du damit etwa sagen, dass alle Männer, die an Waldmosers Jagd teilgenommen haben, durch die Bank verdächtig sind?«
Bruno nickte. »So ist es.«
»Und wenn noch einer an der Jagd teilgenommen hat, einer, dessen Namen wir nicht kennen und der uns verschwiegen wird?«
»Das Einzige, was ich mir vorstellen kann, ist, dass einer unserer Jäger seine Waffe nicht ordnungsgemäß weggeschlossen hat, sie erst einmal blauäugig im Hausflur stehen gelassen hat, um zu duschen oder einen Kaffee zu trinken. Und das könnte der Täter gesehen und die Gelegenheit genutzt haben, um auf …« Bruno zog sein Notizbuch aus der Jeanstasche. »… auf diesen Dr. Hellmann zu schießen. Aber warum?«
»Wenn wir das wüssten, wären wir schon einige Schritte weiter.« Franziska seufzte. »Ehrlich gesagt, vorstellen kann ich mir das bei keinem von den Jägern. Die hatten auch definitiv nichts mit dem Hellmann am Hut. Das war doch nur der Freund oder besser Verlobte der Halber, und ich glaub nicht mal, dass einer der Waldmoserschen Jagdgesellschaft den gekannt hat.«
»Vom Sehen vermutlich schon«, gab Bruno zu bedenken. »Die Gertraud hat sich diesen Typen ja schon Ende des letzten Jahres aufgegabelt. Und ich möchte nicht wissen, wie oft der sie in Kleinöd besucht hat. Womit die den bloß bezirzt hat?«
Franziska sah ihn erstaunt an. »Woher weißt du denn das alles?«
Er verdrehte die Augen. »Sie hat es in der Redaktion des Landauer Anzeigers erzählt. Du weißt doch, ich hab überall meine Informanten sitzen. Kaum war das Baby da, war sie schon wieder an ihrem alten Arbeitsplatz, an der Rezeption der Zeitung, und hat sich wichtig gemacht. Dass dieses Kind Eulalia ihr Leben verändert habe – nicht nur, weil jedes Kind grundsätzlich das Leben einer Mutter verändert, sondern auch, weil sie dank dieses Kindes einen wunderbaren Mann kennenlernen durfte. Der Georg hat es mir erzählt. Ehrlich gesagt hatte der auf diesen Hellmann ziemlich viel Hoffnung
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