Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
verlasse ich mich auf Sie! Damit das klar ist! Sie können diese schreckliche Geschichte gerne untereinander besprechen, aber Telefonate, SMS, E-Mails oder was weiß ich an Personen, die nicht hier am Tatort sind, verbitte ich mir. Sie wollen doch auch, dass der Fall so schnell wie möglich geklärt wird, oder? Und wir haben die besten Chancen, wenn nicht alles gleich an die große Glocke gehängt wird.«
Waldmoser nickte und sah seine Gefolgschaft streng an.
»Habt ihr das gehört?«
»Ja, logisch«, murmelte es.
»Gut, dann verlass ich mich auf Sie«, meinte Franziska. Dann wollte sie wissen: »Wer war denn heute alles mit Ihnen auf der Jagd?«
»Na ja, so gut wie alle, die hier stehen«, gab Waldmoser zurück. »Mir haben uns nämlich zum Schüsseltreiben im Blauen Vogel verabredet. Das machen mir immer so. Nach dem Kesseltreiben an der frischen Luft kommt das Schüsseltreiben im Wirtshaus. Und jetzt sind mir auf dem Weg dahin.«
» So gut wie alle genügt mir nicht. Ich brauche alle Namen.« Franziska sah ihn streng an.
Waldmosers Augen wurden schmal. »Sie verdächtigen doch wohl nicht einen von meinen Gästen oder gar aus meiner Familie?«
»Sagen wir es so, bei all Ihren Gästen, die ein Gewehr haben, würd ich gern kriminaltechnisch ausschließen lassen, dass sie auf Herrn Hellmann geschossen haben.«
»Das kann ich Ihnen auch so versichern. Was meinen Sie denn? Glauben Sie etwa, dass ich mit Mördern auf die Jagd gehe – oder gar mit Schwätzern?«, fügte er eingedenk ihrer Ermahnung hinzu und lief rot an.
»Ihr Gewehr brauche ich natürlich auch.« Franziska straffte sich. Sauber, das hatte gutgetan.
Waldmoser schnappte nach Luft.
Die Kommissarin suchte in ihrer Tasche nach Block und Kugelschreiber.
»Also, ich höre.«
Eine gute halbe Stunde später hatte sie alle Jagdteilnehmer notiert. Es waren nur Männer. Typisch, dachte Franziska. Gender Mainstreaming und Frauenquote waren noch nicht bis hierher vorgedrungen. Hier war die Welt noch in Ordnung. Die Frauen zerlegten das erjagte Wild und marinierten Rehschlegel und Hasenrücken entweder in Rotwein oder in Buttermilch. Abgehackte Hasenpfötchen wurden als Glücksbringer verschenkt. Nur die Männer gingen auf die Jagd. Wie seit Ewigkeiten schon.
Sie steckte ihren Kugelschreiber wieder ein und reichte das Notizbuch an Adolf Schmiedinger weiter. »Hier, passen Sie gut drauf auf. Schauen Sie, bei denen, die nach Angaben des Herrn Bürgermeister mit einem Gewehr unterwegs waren, hab ich ein kleines Sternchen vor die Namen gemalt. Die müssten auch alle einen Jagdschein besitzen.«
»Logisch«, unterbrach der Polizeiobermeister sie diensteifrig und überflog die Liste. »Jeder von denen hat eine Waffenbesitzkarte. Und ich überprüf regelmäßig, ob die Nummer am Lauf mit der auf dem Papier übereinstimmt. Das ist sozusagen Routine. Und zwar immer dann, wenn’s Herbst wird und ehe die Saison beginnt.«
Dass er sich diese Routine ausgedacht und vom Bürgermeister hatte absegnen lassen, um sich gegen Langeweile zu wappnen, verriet er der Kommissarin besser nicht. Es gab Tage in seiner Dienststelle, an denen er mit keinem Menschen sprach, weil in ganz Kleinöd weder ein Unrecht noch eine Gesetzwidrigkeit zu vermelden war. Und das wiederum zeigte, wie diszipliniert diese kleine Gemeinschaft fast immer vor sich hin lebte. Er wusste beispielsweise schon jetzt, dass sich alle an das Redeverbot halten würden. Und zwar nicht, weil der Bürgermeister das so wollte, sondern weil alle einen Heidenrespekt vor der Kommissarin hatten, die es ja immerhin von morgens bis abends mit den schlimmsten und finstersten Subjekten zu tun hatte.
Allerdings hatte Adolf Schmiedinger es sich verboten, an den langweiligen Tagen in der Polizeiwache die Frieda anzurufen – erstens, weil dann das Diensttelefon besetzt war und er im Notfall nicht erreichbar sein würde, und zweitens, weil Frieda zu den Menschen gehörte, die nicht immer reden wollten. Einmal hatte sie nachdenklich zu ihm gesagt, man müsse nicht jede Stille mit Worten füllen. Schweigen und Ruhe brächten einen zu sich selbst.
Seitdem überlegte er sich jedes Wort so lange, bis er schon fast vergessen hatte, was er eigentlich sagen wollte.
Friedas Sohn Pirmin brauchte er auch nicht anzurufen, denn der hatte nie Zeit für ein kleines Schwätzchen. Seit er im Entzug gelernt hatte, dass Alkoholismus eine Krankheit war, trank er nur noch Wasser und Früchtetee, hatte sich an der Fernuniversität Hagen
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