Selig in Kleinöd: Kriminalroman (German Edition)
erwecken zu können.
Franziska suchte den Blick des Rechtsmediziners. »Haben Sie was zur Beruhigung dabei? Ich möchte die junge Frau in diesem Zustand lieber nicht allein lassen. Und wo stecken eigentlich die Rücker und der Döhring?«
»Die Alte bringt das Kind ins Bett, soweit ich das mitgekriegt hab«, meldete sich einer der Kriminaltechniker, »und der ältere Mann ist schon seit einer Stunde nicht mehr aufgetaucht.«
Franziska nickte. Für Bernhard Döhring war der Tote in seiner Einfahrt vermutlich nichts anderes als eine lästige Unterbrechung seiner Geldgeschäfte.
»Klar habe ich was dabei«, sagte Gustav Wiener. »Valium. Hilft immer.« Er zog ein Tablettenröhrchen aus seiner Arzttasche. »Übrigens bin ich jetzt fertig. Sie können ihn abholen und in die Rechtsmedizin bringen lassen. Da gehe ich dann ins Detail. Mehr können wir hier vor Ort eh nicht tun. Morgen kriegen Sie dann genauere Informationen.«
Kapitel 8
Bruno wirkte, als hätte er den ganzen Samstag lustgewandelt und sich dabei wunderbar erholt. Noch bevor Franziska etwas sagen konnte, beschwerte er sich: »Dass mir diese Kleinöder schon wieder ein Wochenende verderben, nein, das verzeih ich ihnen nicht. Weißt du, Franziska, ich war so weit weg von unserem Job, ich war so entspannt. Man braucht auch mal Abstand von all diesem Polizeikram.«
»Wo bist du denn gewesen?«, fragte sie halbherzig und ahnte, dass seine Antwort kostbare Arbeitszeit einfordern würde. Und wollte sie es wirklich wissen?
Bruno strahlte. »Ich war in Grafenau, der ältesten Stadt des Bayerischen Waldes, direkt am Nationalpark. Und super war’s, echt. So was von super.« Er seufzte sehnsuchtsvoll. »Mein Freund hat mich zu einem Überraschungswochenende eingeladen. Das solltest du auch mal machen.«
»Dich einladen?« Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, eine kleine Reise planen und jemanden damit überraschen.«
»Mir langt Kleinöd. Das überrascht mich schon genug«, konterte sie und hoffte insgeheim, er möge sich der Arbeit zuwenden.
Aber Bruno war in seinem Element. »Fahr doch mal mit deinem Mann weg! Kein großer Urlaub, nur mal ein, zwei Tage Alltag schwänzen. Wenn du mir rechtzeitig Bescheid sagst, pass ich auch auf euren Kater auf.«
»Wir sind nicht geschaffen für Überraschungen«, murmelte Franziska. Für sie war es schon schwierig genug, mit Christian einen Spaziergang zu machen. Um sich abzulenken fragte sie: »Grafenau, das liegt doch ziemlich nah an der Grenze, oder?«
Bruno nickte begeistert: »Ja, mit einem schnellen Auto bist du von dort in knapp drei Stunden in Prag.«
»Wer will schon nach Prag?« Franziska schluckte. Sie spürte, dass jetzt genau das passierte, was sie seit Monaten zu verhindern suchte und was sich gestern Nachmittag wie ein Keil in ihr Leben gezwängt hatte: Sie musste an Alexander denken. Der lebte in Prag. Warum nur kostete es so viel Kraft, sich die Erinnerung an ihn vom Leib zu halten?
»Also, der Typ, mit dem ich dort war«, schwärmte Bruno nun. »Ein Traum! So was von kultiviert, so was von rücksichtsvoll, so klug – und er kennt sich aus: das beste Hotel, das beste Restaurant, wunderbare Weine. Hätt ich bloß nicht meinen Anrufbeantworter abgehört. Glaub mir, falls ich noch mal mit dem verreise, nehm ich gar nichts mit. Egal ob ich Bereitschaft hab oder nicht. Er war auch ganz schön enttäuscht. Dieses Kleinöd hat uns vierundzwanzig Stunden gestohlen!«
Franziska fragte nicht, welcher Name sich hinter diesem »Er« verbarg. Bruno hatte alle drei, vier Monate einen neuen Freund und war jedes Mal bis über beide Ohren verliebt. War sie, Franziska, mit Mitte dreißig auch so gewesen? Sie konnte sich nicht erinnern. Frauen waren da vielleicht anders gestrickt, eher auf Beständigkeit aus, denn auf Abenteuer.
Nun denn. Bruno war also wieder mal verliebt, und sie, Franziska, hatte an diesem Sonntagmorgen allein gefrühstückt, misstrauisch beäugt von ihrem Kater Schiely, der sich nach ausgiebigem Fressen und kurzer Katzenwäsche wieder zu Christian ins Bett gekuschelt hatte.
Als sie gestern kurz vor Mitternacht heimgekommen war, hatte ihr Mann eine Flasche Wein geöffnet und gesagt, dass er jetzt, um diese Zeit, nicht mehr reden wolle. Weder reden noch zuhören. Er wollte einfach nur neben ihr sitzen und guten Wein trinken und nichts denken. Aus der Musikanlage klangen ihr die Goldbergvariationen entgegen – gespielt auf einem Akkordeon. »Komm, setz dich«, hatte Christian gesagt und war auf
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