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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Geräusch war deutlich zu hören, und er versuchte, die Haustür zu öffnen. Sie gab bereitwillig nach.
    Das Treppenhaus war in etwa so heruntergekommen, wie die Fassade es erwarten ließ. Aber es roch streng nach grüner Seife. Der kräftige Mann stieg mit zielbewußten Schritten in den zweiten Stock. Die Wohnungstür war blau. Oberhalb der Klinke befand sich ein ovales Milchglasfenster. Über der Klingel war mit einer roten Heftzwecke eine Pappkarte befestigt. E. Das stand darauf. E. Das war alles. Er schellte.
    Drinnen hörte er wildes Getöse. Dann war alles still. Håverstad machte noch einen Versuch. Neues Getöse. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Vor ihm stand ein Mann. Sein Alter war schwer zu bestimmen. Er hatte das seltsame, fast geschlechtslose Aussehen, das Sonderlinge sich zulegen. Ziemlich durchschnittliches Gesicht, weder hübsch noch häßlich. Blaß, mit glatter, pickelloser Haut. Er trug eine gestrickte Trachtenjacke, aber das schien ihm absolut nicht peinlich zu sein.
    »E«, sagte er und streckte eine kühle Hand aus. »Ich heiße E. Was willst du?«
    Håverstad war so überrascht von diesem Anblick, daß er sein Anliegen kaum hervorbrachte. Und viel hatte er ja auch nicht zu sagen.
    »Äh …«, setzte er an, aber dann fiel ihm ein, daß es den Anschein haben könnte, als wolle er den Namen des Mannes in der Strickjacke wiederholen. »Ich würde gern kurz mit dir reden.«
    »Worüber denn?«
    E war nicht unfreundlich, er war einfach neutral abweisend. »Ich wüßte gern, ob du im Blick hast, was hier so in der Nachbarschaft passiert«, deutete Håverstad vage an.
    Das war offenbar ein kluger Zug. Die Mundwinkel des anderen verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln.
    »Komm rein«, sagte er mit etwas, das einem leichten Lächeln immerhin nahekam.
    Er trat beiseite, und Håverstad ging in die Wohnung. Sie war strahlend sauber und sah vollkommen unbewohnt aus. Sie enthielt nur wenige Hinweise darauf, daß es sich um ein Zuhause handelte. Ein riesiger Fernseher stand in einer Ecke vor einem einsamen Stuhl. Es gab kein Sofa, keinen Tisch. Vor dem Fenster, dem übrigens die Vorhänge fehlten, stand der Sessel, in dem Håverstad den Mann von der Wohnung seiner Tochter aus hatte sitzen sehen. Es war ein zerschlissener grüner Ohrensessel. Mehrere Pappkartons von der Sorte, die er aus seiner eigenen Aktenablage kannte, braune Archivkästen aus solider Pappe, umstanden den Sessel in Reih und Glied, wie zackige, viereckige Soldaten, die ihre grüne Burg beschützten. Im Sessel lag ein Klemmblock mit einem daran befestigten Kugelschreiber.
    »Hier wohne ich«, sagte E, nicht ganz zufrieden. »Meine letzte Wohnung war besser. Aber dann ist meine Mutter gestorben, und ich mußte ausziehen.«
    Dabei fiel ihm offenbar ein, wie bedauernswert er war, und sein vages Gesicht nahm einen traurigen Ausdruck an.
    »Was hast du denn in den Kartons?« fragte Håverstad. »Sammelst du irgendwas?«
    E starrte ihn mißtrauisch an.
    »Ja, das schon«, sagte er, anscheinend ohne verraten zu wollen, was sich in den knapp zwei Dutzend Pappkartons verbarg.
    Håverstad mußte die Sache anders angehen.
    »Du kriegst sicher ganz schön viel mit«, sagte er interessiert und trat ans Fenster.
    Obwohl das Glas sichtlich alt war, wirkte es ebenso sauber wie die übrige Wohnung. Es duftete leicht nach Zitrone.
    »Hier sitzt du ja gut«, sagte er dann, ohne den Mann anzusehen, der sich seinen Klemmblock geschnappt hatte und ihn an sich drückte, als sei er Gold wert. Und das war er ja vielleicht auch. »Beobachtest du irgendwas Besonderes?«
    Der Jackenträger war offenbar verwirrt. Håverstad ging davon aus, daß sich nicht viele die Mühe machten, mit diesem Trottel zu reden. Vermutlich wollte er gern sprechen. Håverstad mußte ihm nur Zeit lassen.
    »Tja«, sagte E. »Ziemlich viel, echt.«
    Aus einem Pappkarton ragte ein Zeitungsausschnitt. Das halbe Gesicht einer Politikerin lächelte ihn an.
    »Interessierst du dich für Politik?« fragte Håverstad lächelnd und beugte sich über den Karton.
    E kam ihm zuvor.
    »Nicht anfassen«, fauchte er und schnappte ihm den Karton vor der Nase weg. »Faß meine Sachen nicht an!«
    »Nein, nein, das habe ich doch gar nicht vor!«
    Finn Håverstad hob in einer Geste der Kapitulation beide Handflächen und fragte sich, ob er nicht lieber gleich gehen sollte.
    »Das kannst du sehen«, sagte E plötzlich, als habe er die Gedanken des anderen gelesen und endlich begriffen, daß er

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