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Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)

Titel: Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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gesellschaftssüchtig war.
    Er hob Karton Nr.   2, von vom gesehen, hoch und reichte ihn seinem Gast.
    »Filmkritiken«, erklärte er.
    Und das stimmte auch. Filmkritiken aus Zeitungen, sorgfältig ausgeschnitten und auf A4-Bögen aufgeklebt. Unten standen, in ordentlicher dünner schwarzer Filzstiftschrift, jeweils der Name der Zeitung und das Erscheinungsdatum der Rezension.
    »Gehst du viel ins Kino?«
    Håverstad interessierte sich nicht weiter für E’s Gewohnheiten, aber das war doch immerhin ein Anfang.
    »Ins Kino? Ich? Nie. Aber die kommen doch alle nach einer Weile im Fernsehen. Und dann ist es gut, schon etwas über sie zu wissen.«
    Natürlich. Gute Erklärung. Das Ganze war doch absurd. Er sollte lieber gehen.
    »Das hier kannst du auch sehen.«
    Jetzt war E schon sehr viel freundlicher. Er wagte es, den Klemmblock hinzulegen, wenn auch mit dem Gesicht nach unten. Dem Zahnarzt wurde ein weiterer Karton überreicht, schwerer als der andere. Er blickte sich nach einer Sitzgelegenheit um, aber zum Sitzen lud nur der Boden ein. Im grünen Sessel lag der Klemmblock, und der Holzstuhl vor dem Fernseher war für einen Mann seiner Statur einfach nicht gemacht.
    Er hockte sich hin und öffnete den Karton. E kniete wie ein gespanntes kleines Kind neben ihm.
    Der Karton enthielt Autokennzeichen. In ordentlichen Reihen auf Bögen, die in drei Spalten unterteilt waren. Die Nummern standen exakt untereinander. Es sah fast wie mit der Maschine geschrieben aus.
    »Autonummern«, erklärte E unnötigerweise. »Ich sammle schon seit vierzehn Jahren. Die ersten sechzehn Seiten sind von hier. Der Rest ist aus … von da, wo ich früher gewohnt habe.«
    Wieder hatte er diesen traurigen, selbstmitleidigen Blick, doch diesmal ging das schneller vorbei.
    »Schau her«, sagte er. »Keine zwei Nummern sind gleich. Das wäre doch Pfusch. Nur neue Nummern. Nur Autos, die ich vom Fenster aus sehen kann. Hier …« Er zeigte wieder auf den Bogen. »Hier ist das Datum. An manchen Tagen kriege ich fast fünfzig Nummern. An anderen sehe ich nur welche, die ich schon habe. An den Wochenenden und so. Dann komme ich natürlich nicht weiter.«
    Håverstad brach der Schweiß aus. Sein Herz dröhnte wie ein Fischkutter mit Motorproblemen, und er setzte sich ganz einfach auf seinen Hintern, weil das Hocken ihm langsam zu anstrengend wurde.
    »Hast du zufällig«, schnaufte er, »hast du zufällig Nummern vom letzten Wochenende? Vom Samstag, dem 29.   Mai?«
    E zog einen Bogen hervor und reichte ihn seinem Gast.
    Oben in der linken Ecke stand das Datum: Samstag, 29.   Mai. Darunter kamen sieben Nummern. Nur sieben Stück!
    »Das sind nur die geparkten Autos«, erklärte E eifrig. »Die aufzuschreiben, die nur vorbeifahren, wäre doch Pfusch.«
    Die Hände des Zahnarztes zitterten. Er empfand überhaupt keine Freude angesichts dieser Entdeckung. Nur eine matte, fast taube Form von Zufriedenheit. Ungefähr so wie nach einer geglückten Wurzelbehandlung, bei der der Patient nicht allzusehr gelitten hatte.
    »Meinst du, ich könnte mir diese Nummern abschreiben?«
    E zögerte kurz, dann zuckte er mit den Schultern und stand auf.
    »Okay.«
    Eine halbe Stunde später saß Finn Håverstad in seiner Wohnung neben dem Telefon, eine Liste mit sieben Nummern in der Hand. Kristine war zum Glück übers Wochenende weggefahren. Er hatte also Zeit genug. Er mußte jetzt nur noch herausfinden, welche dieser Nummern zu einem roten Auto gehörte. Und wer der Besitzer war. Er rief die Auskunft an, erhielt die Nummern vom Wagenregister in Brønnøysund und von fünf Polizeirevieren in Ostnorwegen und machte sich ans Werk.
    Der schreckliche Schock hatte sich gelegt und einer großen, beinahe befreienden Ruhe Platz gemacht. Sie hatte sich einige Minuten lang gesammelt und dann in der beruhigenden Gewißheit den Bahnhof verlassen, daß der Vergewaltiger und sein Begleiter auf einem Bahnsteig verschwunden waren. Nun stellte sie sich an den Taxistand und starrte die Stadt an. Zum erstenmal seit über einer Woche registrierte sie die Hitze. Sie war zu warm angezogen. Also streifte sie sich den Pullover über den Kopf und stopfte ihn in ihre rote Schultertasche. Einen Moment lang bedauerte sie, keinen Rucksack zu haben, die Tasche drückte doch sehr auf der Schulter.
    Ausnahmsweise hatte sich am Taxistand keine Warteschlange gebildet. Alle, die mit überschaubarem Gepäck aus dem Bahnhof kamen, taten dasselbe wie sie. Sie staunten ein wenig über die Hitze nach der

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