Selig sind die Dürstenden: Roman (Hanne Wilhelmsen-Reihe) (German Edition)
genau darum ging es ihr.
Es sollte am Mittwoch geschehen. Das war der beste Tag. Am Freitag war das Risiko zu groß. Der Bursche konnte schließlich ein Wochenende auf dem Land planen. Oder ein Fest in seinem Haus. Außerdem gingen viele freitags erst spät ins Bett. Er brauchte Ruhe. Es mußte am Mittwoch abend passieren. Er hätte auch bis Donnerstag warten können, aber das brachte er nicht über sich.
Außerdem gab es einen weiteren wichtigen Grund, der für den Mittwoch sprach. Er hatte seiner Tochter erzählt, daß es am Donnerstag geschehen sollte. Nun blieb ihr die Warterei erspart. Am Donnerstag morgen wollte er sie mit der Nachricht wecken, daß jetzt alles vorbei sei.
Der Schrank war vorschriftsmäßig abgeschlossen. Obwohl das mittlerweile nicht mehr nötig war, Kristine war erwachsen und wühlte nicht mehr in seinen Sachen herum. Seit ihrer Schulzeit hatte sie sein Schlafzimmer kaum noch betreten.
Drei Heimwehruniformen hingen ordentlich nebeneinander. Mit je drei Sternen an den Schulterklappen. Er war Kapitän. Selbst die grüne Felduniform war gebügelt. Zwei Paar Stiefel standen auf dem Boden des Schrankes. Es roch leicht nach Schuhcreme und Mottenkugeln.
Ganz hinten, hinter Schuhen und Uniformen, lag ein kleiner Stahlkasten. Er hockte sich hin und zog ihn heraus. Dann stellte er ihn auf den Nachttisch, setzte sich aufs Bett und öffnete ihn. Seine Dienstpistole war ein österreichisches Fabrikat. Glock. Neun-Millimeter-Munition. Und die hatte er reichlich. Seine Dienstmunition konnte er nicht anrühren, aber er hatte von der letzten Schießübung zwei zusätzliche Schachteln mitgebracht. Strenggenommen war das wohl Diebstahl, aber die Leitung drückte da beide Augen zu. Munitionsschachteln gingen bei den Übungen so leicht verloren.
Mit etwas ungelenken Fingern nahm er die Waffe auseinander, schmierte sie und wischte sie anschließend mit einem Lappen sorgfältig ab. Er legte die in den Lappen eingewickelte Pistole neben sich ins Bett. Dann nahm er fünf Patronen aus einer Schachtel, packte den Rest wieder in den Stahlkasten, schloß ihn ab, stellte ihn hinten in den Kleiderschrank und schloß den Schrank ab.
Einen Moment stutzte er angesichts des Problems, wo er die Waffe so lange aufbewahren sollte. Schließlich entschied er, sie ganz einfach unters Bett zu legen. Die Putzfrau würde erst am Freitag kommen. Und dann würde die Waffe längst wieder im Schrank liegen.
Er zog sich aus und ging ins Badezimmer, das gleich neben dem Schlafzimmer lag. Es dauerte seine Zeit, bis Wasser eingelaufen war, und deshalb hüllte er sich in seinen Bademantel und mixte sich einen starken Drink, obwohl der Nachmittag dafür strenggenommen noch zu jung war. Als er zurückkam, quoll der Schaum fast schon über den Wannenrand. Das Wasser floß über, als er langsam in der brennend heißen Flüssigkeit Platz nahm.
Erst am Vortag war ihm wirklich aufgegangen, daß er eine strafbare Handlung plante. Gelinde gesagt. Der Gedanke wirkte für den Bruchteil einer Sekunde wie ein kleiner Stich, dann wies er ihn ab. Das ging ihn nichts an. Jetzt ließ er die Gewißheit, daß er gerade zum Verbrecher wurde, noch tiefer sinken.
Er war nie, nicht für einen einzigen Moment, auf die Idee gekommen, mit seinem Wissen zur Polizei zu gehen. Im Grunde war er empört darüber, daß sie offenbar schlechtere Arbeit geleistet hatten als er. Daß sie nicht ermittelt hatten. Das war doch erschreckend einfach gewesen. Er hatte nur wenige Tage gebraucht. Was machte die Polizei eigentlich? Nichts? Sie hatten ihm erzählt, daß sie Spuren und Spermareste gesichert hätten. Die nun analysiert würden. Aber wozu brauchten sie Analysen, wenn sie sie mit keinem Register vergleichen konnten? Als er die Beamtin danach gefragt hatte, hatte sie nur wortlos und leicht resigniert mit den Schultern gezuckt.
Natürlich würde die Polizei etwas unternehmen, wenn er sie informierte. Daran zweifelte er nicht. Wahrscheinlich würde der Mann festgenommen und allerlei Tests unterzogen werden. Dann würden sie beweisen können, daß er der Täter war, und er würde ins Gefängnis wandern. Für ein oder anderthalb Jahre. Bei guter Führung würde ihm ein Drittel seiner Strafe erlassen werden. Das bedeutete, daß der Mann mit weniger als einem Jahr Knast davonkommen konnte. Mit weniger als einem Jahr! Dafür, daß er seine Tochter zerstört hatte. Zerstört, gedemütigt und geschändet!
Es kam überhaupt nicht in Frage, zur Polizei zu gehen. Die sollten
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