Sengende Nähe - Singh, N: Sengende Nähe
aufzusetzen.
Sie spähte über seine Schulter hinter ihn. „Wo ist Dorian?“
„Schon wieder fort.“ Lucas setzte sich neben sie auf das Bett, in der Hand hielt er ein Päckchen. „Bevor er Ashaya und Keenan zum Abendessen ausführte, wollte er noch schnell etwas im Hauptquartier abholen, deshalb war er gerade zur Stelle, als das hier abgeliefert wurde. Es steht kein Absender darauf, aber …“
„Aber was?“ Sie schluckte und rückte näher an ihn heran. „Was, Lucas?“
„Es riecht nach Nikita.“
Das hatte sie nie und nimmer erwartet. „Es ist doch nicht –“
„Nein, nichts Gefährliches“, versicherte er. „Du kennst doch Dorian – er hat es durch die ganze Testbatterie geschickt. Keine Reaktion. Dem Gewicht und der Größe nach könnte es ein Buch sein.“
„Warum sollte meine Mutter mir ein Buch schicken?“
„Sehen wir einmal nach.“ Er gab ihr das Päckchen.
„Ich –“ Ihre Finger zitterten so sehr, dass sie den Umschlag nicht öffnen konnte.
Lucas legte seine Hand auf ihre. „Sie kann dir hier nichts tun.“ Grüne Pantheraugen sahen sie an. „Du bist sehr viel stärker, als sie es jemals sein kann.“
Und genauso war es, er wusste es einfach. Sascha konnte den Geist heilen, die Seele. Ohne Furcht ging sie in die Dunkelheit, tauchte ab in Albträume, um anderen zu helfen. Diesen Mut würde die Ratsfrau Nikita Duncan niemals aufbringen.
Jetzt richtete sie sich auf und klemmte die Bettdecke unter ihren Armen fest – die vertraute Sittsamkeit entzückte und amüsierte ihn –, dann atmete sie tief ein. „Wenn Sie so freundlich wären, Mr Alpha“, bat sie.
„Wie Sie wünschen, Mrs Alpha.“ Er ließ eine tödlich scharfe Kralle herausfahren und schlitzte den Umschlag auf.
„Es ist unglaublich praktisch, jemanden wie dich zur Seite zu haben“, sagte sie mit hochnäsiger Medialenstimme, und er wusste, dass seine ruhige und warmherzige Sascha wieder ganz sie selbst war.
Er legte den Arm um sie und sagte: „Ich lebe nur, um dir zu Gefallen zu sein.“ Dann sah er zu, wie sie etwas herauszog, das mit äußerster Sorgfalt eingepackt worden war.
„So viele Schichten“, sagte Sascha und wickelte es Lage um Lage aus. „Muss ja etwas sehr Wichtiges sein.“
Oder Nikita trieb ein Spiel mit ihr. Das sagte er aber nicht, denn Sascha war immer noch empfindlich, wenn es um ihre Mutter ging – verständlicherweise. „Kätzchen“, sagte er.
„Ich weiß, Liebling.“ Ein unsicheres Lächeln. „Ich weiß. Einen Großteil meines Lebens habe ich schließlich unter dem Einfluss von Nikitas Machenschaften und Moralvorstellungen verbracht.“ Sie legte die Hand auf seinen Oberschenkel und riss mit der anderen die letzte Lage Papier ab. „Das Geheimnis der E-Medialen“, las sie laut. „Empathische Gaben und ihre Schattenseiten. Von Alice Eldridge.“
Mercy fuhr auf dem Absatz herum und streckte blitzschnell ihr Bein vor, traf ihr bevorzugtes Ziel – einen Baum. Sie nannte ihn Riley, zum ersten Mal hatte sie nach dem ersten richtigen Treffen mit Riley dieses Ritual durchgeführt. Jetzt „rannte“ sie den Baum hoch, machte einen Überschlag nach hinten und stand wieder fest auf beiden Beinen. Obwohl es schon fast elf war, war sie viel zu aufgedreht, um schlafen zu können. Das Gespräch mit ihrer Großmutter hatte auch nicht gerade dazu beigetragen, Zorn und Schmerz in ihr zu lindern.
Sie trat noch einmal gegen den Baum. „Blöder.“ Tritt. „Macho.“ Tritt. „Wolf.“
Den Zorn hatte sie sich nun aus dem Leib getreten – zumindest im Augenblick –, Mercy holte tief Luft, suchte sich einen festen Stand und machte die routinemäßigen Kampfübungen, die sie mit ihrem früheren Ausbilder entwickelt hatte. Im Lauf der Jahre hatte sie einiges verbessert, ihrer größer gewordenen Kraft und Beweglichkeit angepasst, und Dorian hatte ihr ein paar neue Bewegungsmuster gezeigt, aber um in Übung zu bleiben, war es genau das Richtige. Es hielt sie in Form und ihre Bewegungen geschmeidig, was häufig wichtiger war als die schiere Kraft.
Sich so zu bewegen, machte ihr Spaß. Es gehörte zu ihr. Verschaffte ihr ein gutes Gefühl. Ihre Seele tanzte. Niemand würde ihr das nehmen dürfen. Nicht einmal der Mann, der alle weiblichen Instinkte in ihr geweckt hatte. Dieser Gedanke brachte sie beinahe aus dem Rhythmus, aber sie biss die Zähne zusammen und trainierte weiter.
Es war schon lange her, dass sie sich wegen ihrer kämpferischen Neigungen Sorgen gemacht hatte – sie war
Weitere Kostenlose Bücher