Sengendes Zwielicht - Lady Alexia 05
Alexia es nie zuvor gesehen hatte. Sie war durch Europa gereist, aber das hier … Das hier war eine völlig andere Welt! Eine Welt, in die sich Alexia auf der Stelle unsterblich verliebte.
Ivy war ebenso gefesselt. »O du meine Güte, seht euch all die Männer in Kleidern an!«
Es war inzwischen dunkel geworden. Altmodische, mit Öl betriebene Straßenlaternen und sogar ein paar Fackeln spendeten Helligkeit, aber Gas gab es offenbar nicht. Trotz der Lichtverhältnisse meinte Alexia jedoch, dass die Kleider um sie herum so farbenprächtig wie die Gebäude eintönig waren.
Lord Maccon schnupperte und hüstelte dann leicht. Alexias eigene Sinne waren so überwältigt, dass sie nur erahnen konnte, was ihr Gatte roch. Da war der berauschende Duft nach Honig, Zimt und gerösteten Nüssen. Außerdem strömte ein ziemlich widerwärtiger Geruch aus zahlreichen Rauchgefäßen, in denen Wasser schwappte und um die sich vorwiegend ältere Männer drängten, die zu beiden Seiten der Straße auf den steinernen Stufen kauerten. Unter den anderen Gerüchen befand sich der unverwechselbare Gestank von Abwasser, nicht unähnlich dem der Themse während eines heißen Sommers.
Conall drehte sich mit einem breiten Lächeln auf seinem gut aussehenden Gesicht zu ihr um. »Das riecht wie du!«, sagte er, als habe er gerade eine gewaltige Entdeckung gemacht.
»Mein werter Herr Gemahl, ich hoffe doch wirklich, du meinst damit nicht diesen widerwärtigen Rauch oder den Gestank von körperlichen Ausscheidungen.«
»Natürlich nicht, meine Liebe. Dieses Gebäck dort drüben, das riecht wie du. Möchtest du eins davon probieren?« Oh, er kannte seine Frau ja so gut.
»Mag Ivy Hüte? Natürlich würde ich liebend gern eins davon probieren!«
Daraufhin eilte der Earl zu dem Straßenverkäufer, der von allen am saubersten aussah, und kam kurze Zeit später mit einem kleinen klebrigen, blätterigen Gebäck zurück. Alexia schob es sich ohne Zögern in den Mund, und sofort wurde ihr Geschmackssinn von Honig, Nüssen, exotischen Gewürzen und den knusprigen Flocken unglaublich dünner Teigschichten überwältigt.
Sie kaute schweigend. Für alles andere war es einfach viel zu klebrig. »Fantastisch!«, war ihre offizielle Erklärung, sobald sie endlich geschluckt hatte. »Würdest du dir bitte merken, wie es heißt, Liebster? Ich werde mir mehr davon bestellen, sobald wir im Hotel sind. Ich bin entzückt, dass du findest, ich würde nach etwas so Köstlichem riechen.«
»Du bist köstlich, mein Liebes.«
»Schmeichler.«
Der Dragoman brachte die Gruppe zu einer langen Reihe von Eseln, deren Eselführer unter einer Markise in der Nähe warteten.
»Oh, sind die nicht absolut süß?«, rief Mrs Tunstell aus.
»Das sind wirklich sehr schöne Esel, nicht wahr, Ivy?«, stimmte Lady Maccon ihrer Freundin zu. »So samtige lange Ohren. Schau, Prudence.«
»Nein!«, sagte Prudence.
Ivy schüttelte den Kopf. »Nein, Alexia, ich meine die Jungen, denen die Esel offenbar gehören. Sieh dir ihre bezaubernden mandelförmigen Augen an. Und diese dichten Wimpern. Aber, Alexia, soll ihre Haut so dunkel sein?«
Alexia würdigte diese Frage keiner Antwort.
In diesem Moment kam Mrs Tunstell eine Erkenntnis, die sogar noch erschreckender war. »Sollen wir etwa auf diesen Eseln reiten ?«
»Ja, liebe Ivy, ich glaube, das sollen wir.«
»Oh, aber Alexia, ich reite nicht!«
Ungeachtet von Ivys Protesterklärungen, die lautstark anhielten, wurde emsig Gepäck auf die Esel gezurrt, während Alexia und die anderen Damen der Gruppe versuchten, Damensättel zu ergattern. Die Kinder wurden in geflochtene Körbe gesteckt, die wie Satteltaschen links und rechts an den Eseln befestigt waren. Die Tunstell-Zwillinge saßen in einem Körbepaar und Prudence in einem anderen, wobei ihr mechanischer Marienkäfer in dem gegenüberliegenden Korb als Gegengewicht diente und seine kleinen Fühler schüchtern über den Rand lugten. Mr Tumtrinkle stieg auf der einen Seite seines Esels auf und purzelte auf der anderen Seite sofort wieder hinunter, woraufhin er wie das Gepäck festgeschnallt wurde. Nachdem Tunstell seiner Frau sicher hinaufgeholfen hatte, schwang er selbst mühelos das Bein über den Tierrücken, da er ziemlich sportlich und behände war. Leider war seine Hose doch etwas zu eng und riss mit einem lauten Ratschen, was einen Großteil seiner scharlachroten Unterhosen der Abendluft preisgab und seine Frau dazu veranlasste, vor Entsetzen aufzukreischen und dann
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