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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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niedergelassen. Matthias Hase ging, eine große Schüssel und eine weitere Dose Suppe zu holen. Das Keuchen der Frau verfolgte ihn. Ihr hasserfüllter Blick schien Löcher in seinen Rücken zu brennen.
    Als er die orangefarbene Schüssel vor ihr platzierte, verstärkte sich das Keuchen zu einem Hecheln. Dicke Schweißtropfen rollten über die Stirn nach unten. Ihre Augen öffneten sich, als er den Inhalt der nächsten Dose vorsichtig in den Krug umfüllte. Im gleichen Augenblick begann sie zu kreischen.
    Jetzt hatte sie sich also doch fürs Schreien entschieden. Matthias Hase stellte die Suppe beiseite, holte sich die Fernbedienung aus dem Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und
drehte die Lautstärke auf maximal. Dann zappte er sich durch die Kanäle. Beim Gesicht von Andy Borg hielt er inne, fragte sich kurz, wieso er den Namen des aufgedunsenen Moderators kannte, und verwarf den Gedanken als unwichtig. Volksmusik war genau das Richtige, um das Gejaule zu übertönen. Das schien auch Isolde Semper zu finden, denn sie hörte mit dem Lärm auf. Er stellte den Ton etwas leiser, sodass sie seine Worte verstehen konnte.
    »Erinnerst du dich eigentlich an deine Arbeit als Heimerzieherin?« Isolde Sempers verkniffenes Gesicht verriet ihm die Antwort. »Und an die Kinder  – erinnerst du dich auch an die? An die kleine Melissa zum Beispiel?«
    »Ich kann mich nicht an jeden Insassen erinnern.«
    » Insassen nennst du sie, ich verstehe. Aber die gemeinsamen Mahlzeiten werden dir doch noch im Gedächtnis sein?«
    »Was wollen Sie, zum Teufel?« Sie wurde wieder lauter, aber er ließ sich nicht beirren.
    »Ich möchte, dass es dir wieder einfällt. Alles. Du sollst wissen, warum ich hier bin, auch wenn du es sicher schon längst ahnst.« Die Walze schüttelte heftig den Kopf.
    »Dann hör mir gut zu.« Er begann mit seinen Erklärungen. Die Worte flossen wie ein stetiger Strom aus seinem Mund, ohne dass er darüber nachdenken musste. Er hatte sie sich schließlich auch lange vorher zurechtgelegt. Neben der Spüle leckte sich Kater Minkus die Pfoten. Dann rollte er sich ein und beobachtete unter herabhängenden Lidern das weitere Geschehen. Es schien ihm völlig egal zu sein, was mit seinem Frauchen geschah.

9
    Wenn die Sonne über Grünau aufgeht, spiegelt sich der endlose Himmel in den Fensterscheiben der verwaisten Wohnungen. Die meisten Menschen sind längst fortgezogen, die grauen Betonquader warten auf ihren Abriss. Wie die Tagespresse gestern schon berichtete, entdeckten Bauarbeiter der mit den Abbrucharbeiten beauftragten Firma Leißmann GmbH am Dienstag in einem dieser leerstehenden Blocks die Leiche eines unbekannten Mannes.
    Lara wandte den Blick vom Bildschirm. Sie ärgerte sich. Darüber, dass Tom einen mehrspaltigen Artikel über die Plattenbauleiche geschrieben hatte. Noch mehr aber ärgerte sie sich, dass der Text gut war. Er enthielt ausreichend Tatsachen, um die Leser anzufüttern, aber nicht zu viel Technisches, was sie langweilen könnte. Und der lakonisch-depressive Schreibstil vermittelte ein plastisches Bild vom Zustand dieses Viertels. Er musste den Artikel gestern am späten Nachmittag geschrieben haben, als sie mit Kriminalobermeister Schädlich im Lindencafé gesessen hatte.
    Nach Polizeiangaben handelt es sich bei dem Toten um einen Mann europäischer Herkunft zwischen sechzig und siebzig Jahren. Da die Untersuchungen in der Rechtsmedizin noch nicht abgeschlossen sind, können derzeit keine Angaben über die Todesursache gemacht werden. Sicher ist jedoch, dass Fremdeinwirkung im Spiel war.
    Wieder blickte Lara auf. Nach »Polizeiangaben«? Wenn Tom so etwas schrieb, dann hatte er die Polizei auch befragt. Und jemand musste ihm die  – wenn auch spärlichen  – Informationen gegeben
haben, mit denen Kriminalobermeister Schädlich gestern nicht hatte herausrücken wollen. Mit Sicherheit war den Beamten ein Maulkorb verpasst worden. Lara hatte gestern Abend noch einmal ihr Diktiergerät abgehört. Bis auf den Satz: »Er wurde ertränkt« war nichts von Belang dabei gewesen, und auch das war Schädlich nur aus Versehen herausgerutscht. Tom schien von diesem »Ertränken« keine Kenntnis zu haben. Oder er hob sich die brisante Information für die Fortsetzung auf. Denn dass es eine Fortsetzung dieses Artikels geben würde, war so gut wie sicher. Und auch, wer der Verfasser sein würde. Lara atmete tief durch, kritzelte »Pressesprecher Polizei« auf ihren Notizblock und las den Artikel zu

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