Sentry - Die Jack Schilt Saga: Die Abenteuer des Jack Schilt (German Edition)
Kann er noch nicht ohne ihn überleben, bleibt nur wenig Zeit, ein neues Opfer zu finden. Jeder in Reichweite befindlicher Organismus käme in Frage und sei es nur vorübergehend.“
„Woher weißt du das alles?“ fragte ich verblüfft. Es klang in der Tat wie eine wissenschaftliche Abhandlung, sachlich und emotionslos. Avalea, die Vortragende, sprach mit der nüchternen Gelassenheit eines abgebrühten Gelehrten.
„Ich habe den Experimenten beigewohnt.“
„Bitte?“ Krister, Luke und ich fragten wie aus einem Munde
„Wie ich bereits sagte, in Laurussia sind Dinge geschehen, die ihr im Norden nicht für möglich halten würdet. Ich meine, ihr wisst bereits, dass ich schon mehrere hundert Jahre alt bin, ich bin sozusagen eine Synthese alter und neuer Technologien. Menschen künstlich zu erschaffen ist eine alte Technik, welche die menschliche Rasse nicht erst in Laurussia erfunden hat. Was liegt näher, als dieses unvollkommene Wesen, dem nur ein paar Jahrzehnte Funktionalität beschert ist, zu perfektionieren? Die Sentrys mussten dafür herhalten, die Opreju und schließlich auch die Mithankor. Mit allen Lebewesen Gondwanas führten die Forscher Hyperions im Namen der Wissenschaft rücksichtslose Experimente durch.“
Ich stand da wie vom Donner gerührt. Zwischen Gründung und Untergang Hyperions lagen zweihundert Jahre, eine verdammt lange Zeit, in der eine bereits weit fortgeschrittene Rasse unumschränkt alles tun konnte und durfte, um noch weiter voranzuschreiten – und Avalea war Teil von ihnen, nahezu von Anfang an. Sie war lebendige Geschichte, ein Zeitzeuge aus einer Epoche, die vor Jahrhunderten ihr Ende fand. Unbegreiflich für mich, der ich zwar einen Teil der gleichen Rasse darstellte, die jedoch im gleichen Zeitraum immer mehr in den Dämmerzustand der Unwissenheit hinübergeglitten war. Eine Tatsache, für die ich immer mehr Dankbarkeit empfand.
„Die Ergebnisse der Experimente verliefen nie zufriedenstellend“, fuhr Avalea fort.
„Ging es darum, das menschliche Leben zu verlängern?“ fragte Luke, der allmählich eins und eins zusammenzuzählen begann.
„Ja, das war das primäre Ziel. Vieles war den selbsternannten Göttern bereits gelungen. Künstlich Menschen in beliebiger Anzahl zu züchten reichte ihnen nicht mehr. Nein, das ewige Leben galt als Ziel des ganzen. Die Ermeskul mussten als erste dafür herhalten.“
„Du meinst die Sentrys“, korrigierte ich im Flüsterton. Mir war ein furchtbarer Verdacht gekommen.
„Die Ermeskul werden doch steinalt“, warf Krister dazwischen.
„Ja, das stimmt. Niemand kennt ihre genaue Lebensspanne. Als man die ersten gefangenen Ermeskul untersuchte und herausfand, dass sie eine deutlich längere Lebensspanne aufweisen als Menschen, begann ihr Leidensweg. Doch die Ergebnisse entsprachen nicht den Erwartungen.“
„Du meinst… du meinst, man hat… Menschen mit Sentrys vermischt?“ Die Erkenntnis traf mit ihrer ganzen widerlichen Wucht. Zum ersten Mal dämmerte mir, wie die Saat der Ermeskul Zugang zu meinem Körper gefunden hatte.
„Kreuzen nennt man das. Ja, das ist geschehen. Als erste Versuchskaninchen mussten diejenigen herhalten, die man ohne weiteres neu herzüchten konnte wie Vieh.“
„Die Skiavos“, flüsterte Luke.
„Ja genau. Die Skiavos, die Rechtlosen, die Sklaven. In Hunderte von uns wurde manipuliertes Genmaterial eingeschleust. Die Mehrheit verreckte elendig innerhalb von Tagen.“
„Wurden an dir auch Versuche vorgenommen?“ fragte ich, die Antwort längst ahnend.
Avaleas Blick senkte sich.
„Sonst stünde ich heute nicht vor euch. Die erste Versuchsreihe war allerdings schon abgeschlossen, als ich geschaffen wurde. Wie bereits gesagt, die Tests führten nicht zu befriedigenden Ergebnissen. Der Versuch an den ersten Natürlichgeborenen war nur eine Frage der Zeit.“
„Gab es keinen Aufstand? Wehrte sich niemand dagegen?“ wollte Krister wissen. „Jeder, der an mir irgendwelche Tests ohne meine Einwilligung ausprobieren wollte, würde den nächsten Tag nicht mehr erleben!“
Avalea lächelte kalt.
„Hyperion war die Stadt der Wissenschaft. Dort gab es nur Menschen, die in Extremen dachten, die wir heute nicht mehr nachvollziehen können. Die Gemäßigteren unter ihnen wanderten früh nach Süden ab und gründeten neue Siedlungen wie Kelvin oder Sayward. In Hyperion gab es niemanden, der nicht alles dem Gott der Wissenschaft geopfert hätte. Mütter stellten ihre neugeborenen Kinder bedenkenlos zur
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