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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Gebüsch, sogar zwischen den Mauersteinen, blitzen die grünen Laternen. Wie früher, es hört gar nicht auf. Sie schwirren zu mir, sie setzen sich auf die Hand. Kann sein, sie stiften den Zauber, besonders den Musikzauber, den man vernimmt, wenn sämtliches Fontänenplätschern aufhört. Oder macht das der Mond oder die Kassiopeia oder das Sommerdreieck, Leier, Adler und Schwan, die fixen Leuchtpunkte, die allmählich am Himmel erscheinen. Es zaubert die bläuliche Wega. Querflötentöne, ich erwähnte den musizierenden König. Oder man hört aus der Ferne vom Stadtschloss her das Pianoforte. Johann Sebastian Bach besucht die hiesige Majestät. Er soll die neuenInstrumente aus der Silbermannwerkstatt ausprobieren. Wäre dies die Musikstunde, von der die Experten noch dieser Tage viel schreiben und schwärmen, müsste es allerdings hier oben ziemlich kalt sein. Ein windiger Apriltag. Beim neuen Schlossgebäude würden wahrscheinlich noch ein paar Baugerüste und Mörtelwannen herumstehen. Die Bauleute sind grade fertig geworden. Nächstens wird Sanssouci eingeweiht. Dann gibt es hier, wo ich sitze, ein festliches Essen. Bach ist unterdes schon wieder unterwegs nach Hause zurück in sein Leipzig. Piano forte, gut und schön, Meister Bach freut sich auf sein ehrliches Cembalo. Er hat sich einiges notiert, das Beste trägt er im Kopf. Das Motiv zu den Musikalischen Opfern. Daraus wird er was machen.
    So weit vom Leben hier oben. Die Käfer leuchten. Die Sterne prangen.
    Mit der Schreibmaschine habe ich noch nichts angefangen. Ich denke noch darüber nach. Es gibt so viel, was man mit den flinken Buchstaben machen könnte. Ich werde vielleicht ein Dementi machen und eine Verteidigung. Alles über Wolken. Wolken sind weder Wattehaufen noch Schafe noch Federbetten, Wolken sind keine Schwanenflügel, sie sehen nicht aus wie Dampf aus einer Lokomotive oder Rauch aus Fabrikschornsteinen oder wie ein Atompilz. Die Wolken laufen am Himmel wie Nachrichten. Täglich das Neueste. Meteorologisch scheint das meiste geklärt zu sein. Wolkenphysik kann ich mir bildlich vorstellen. Es sieht nicht nach Hexerei aus wie bei den Funkwellen, den Quanten oder überhaupt bei Max Planck. Wolken sind Luftmassengegensätze, kondensierter oder sublimierter Wasserdampf, der sich an winzigen Staubpartikeln festhält, und Wind. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Mehr erfährt man mit einem Fernrohr. Glitzernde Stratosphärenwolken. Glühende Splitter. Vom Sturm getriebene Funken. Ein eiserner Besen fegt glimmende Aschereste vom Rost. 80 Kilometerüber der Erde. Nachtsonnenzeichen oder vielmehr Zeichen des Fegefeuers. Ich weiß nicht, wo anfangen mit meinen Wolkennachrichten. Erika hat mir erzählt, beim Fliegen schaut man von oben aus dem Flugzeug in das langsam wandernde kondensierte Wasser hinein. Also Wolken in Zeitlupe. Also doppelte Geschwindigkeit beim Belichten des Materials. Das wären keine Buchstaben mehr, das wäre schon ein Film.
     
    Eli hat in den Rabatten am Obelisken mit der Gärtnerschere ein paar Astern abgeschnitten. Schnell unter dem Sternenhimmel. Diebstahl will sie den fachmännischen Zugriff nicht nennen. Es sind volkseigene Astern, und ich bin mehr als das Volk, ich bin Gärtner, und das ist wahr. Eli ist auf Straßenbahnen nicht angewiesen, nicht abhängig von Nachtfahrplänen. Sie ist Besitzerin eines Fahrrades und einer Schreibmaschine auf einem Tisch, den sie Schreibtisch nennt. Sie hat ein paar Notizen im Heft und dreißig Mark verdientes Geld in der Tasche. Das macht beschwingt. Eli klemmt die Blumen auf den Gepäckträger, sie tritt in die Pedalen. Der Lichtdynamo sirrt durch die Nacht.
    Im Tauber-Haus herrscht Stille. Internatsgerüche hängen im Vestibül. Schimmel, Bohnerwachs, Bier, Badesalz. Kein Licht hinter Erikas Tür. Eli tappt im Dunkeln die Treppe hinauf. Sie öffnet das Fenster. Die Pappeln wispern. Eine Grille zirpt.
    Eli macht an ihrem Tisch noch ein paar Anmerkungen zu verschiedenen angefangenen Erinnerungen. Über Wolken, sehr irdisch und nüchtern, belehrend und in einer seltsam neuen Handschrift. Etwas, wofür Ludwig von Schubert gelobt werden würde. Sie denkt an Ludwig, wie er Worte auf Lager hat, die einem das Herz erwärmen. Oft muss sie über seine Späße lachen. Er spielt Hanswurst oder Harlekin, aber er ist ein anderer, man weiß nicht, wer. Sie lauscht in die Sommernacht. Eli steckt die Notizen in eine graue Mappe, eine Klemmmappe, auch Felix hat so eine Mappe für seine Werbesprüche.Ein

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