Sepia
Grünkleid, sagt Meng Hai-Feng.
Er hantiert in der holzgetäfelten Empfangshalle, dem Gemeinschaftsraum, wo zwei Elektroherde und ein neuer Wasseranschluss den ausländischen Studenten vorschriftsmäßig warmes Essen gewähren. Ein Muschelbrunnen funktioniert noch von früher. Eine Fontäne plätschert Tag und Nacht.In Ewigkeit. Meng hackt mit einem beilgroßen Hackmesser Chinakohl auf dem Hackbrett, schneiden und hacken, millimeterfein. Messer von Mama in Peking. Meng kocht für alle. Abendessen, du auch.
Vielleicht, sagt Eli. Wenn das Eff wieder funktioniert.
Eine Stunde, dann fertig, sagt Meng. Eli grüßt in die Runde. Parsi, mit seiner herzliebsten Kamera, er hat sie in Teile zerlegt. Er putzt und will herausfinden, ob die Verschlusszeiten stimmen.
Das ist Fatme, meine Mutter, sagt Parsi.
Wie von Heißluft gehoben, so steigt Parsis Mutter in ihren vielen Röcken hoch von einem Teppich. Parsis Mutter ist eine große Frau, so groß wie Parsi. Sie verneigt sich. Sie zeigt die Hände.
Ich habe von Ihrer weiten Reise gehört, sagt Eli. Die Frauen verneigen sich hin und her, Fatme, dann Eli, dann wieder, lächelnd, Fatme, hin und her. Schließlich sinkt Fatme wieder auf den Teppich, sinkt sportlich in die Röcke hinein, die Luft ist raus, das Lächeln bleibt in ihrem Gesicht, rätselhaft, etwas spöttisch.
Eli eilt mit der kaputten Schreibmaschine die drei-, vier-, fünfmal gestaffelte Treppe hinauf. Sie rennt und zögert, steigt, bis es nicht mehr weitergeht, bis unter das Dach. Bis vor die Tür.
Der Essengong tönt.
Meng Hai-Feng klopft mit einem Quirl auf die Messingscheibe, genaue Schläge, danach lässt er das Metall zünftig schwingen. Ein tanzender Drache schlängelt sich rufend, lockend, beschwörend durch das widerhallende Haus.
Elis Schreibmaschine steht auf dem Tisch. Ohne Deckel. Der Deckel liegt auf dem Bett. Ein Taschenmesser, eine Büroklammer und eine Kuchengabel sind als Werkzeug zum Einsatzgekommen. Auf dem Parkett ein Internatskopfkissen. Daneben der grüne Overall. Eli glühend heiß unter Ludwigs Händen. Darum du alles andere vergisst. Das chinesische Abendessen sowieso, diese in Salzwasser kochenden sogenannten Dumplings, vegetarisch gefüllt mit gebratenem Kohl. Du vergisst das Himmelsviereck im offenen Fenster. Das Blickfeld verschwimmt. Der Zikadenfries zirpt. Elis Ohr lauscht auf die Kunststücke, die der Schreibmaschinenklempner vollführt. Wie er mit seinem Leben spielt. Der Märchenmacher. Der Klassenclown. Geschichtenerfinder. Eli verschwindet unter seiner Achsel. Seine Arme, sein Atem, seine Stimme, sein Geruch, sein milchwarmer Mund. Das also ist und von dem stammt das Schöne.
Erzähle weiter, sagt Eli.
Wohlan, nehmen wir einen wirklich tadellosen Schriftsteller. Nennen wir den Kerl einfach einmal Ludewik.
Oder Lulu, das passt besser, sagt Eli.
Also Lulu. Man weiß nun wohl, dass grade diese Lulu-Geister nicht frei von Fehlern sind, denn das Bestreben, in allem korrekt zu sein, läuft Gefahr, kleinlich zu werden.
Die Gefahr ist gering, sagt Eli.
Sie besteht. Sie bestand sogar bei den alten Griechen. Er baut einen Beweis auf, zuletzt stützt er sich auf ein Wort. Korinthenkacker. Ist das griechisch genug?
Einsprüche, geschmückt mit einvernehmlichen Küssen. Zeitgewinn.
Irgendwann im Fortgang der Lulu-Legende sind sie vom morgenkühlen Fußboden in die bequemeren Umstände und anderen Perspektiven des Internatsbetts aufgestiegen. Seit dieser Stunde wollige Bettdeckenwärme und im Fensterviereck das Gefunkel eines sehr hellen Sterns. Eli blinzelt.
Das also ist und von dem stammt das Schöne. Ludwig spinnt schon wieder ein bisschen.
Die Zikade ist ein kleines Tier, sie kann im Dreieck weder kriechen noch fliegen, doch in diesen Grenzen gebietet sie über Raum und Zeit. Die Zikaden können nicht handeln. Sie drücken weder Güte und Gewähr noch Bedrohung und Verweigern aus. Sie stellen durch ihr Bleiben das Dao dar. Ihre Macht liegt im übermenschlichen und übertierischen Sein. Dao kehrt vom Bildrand in sich selbst zurück. Die Grenzen tragen das Fremde ins Zentrum.
Glaube mir, es sind Dämonen.
Eli hatte die Schreibmaschine am frühen Morgen mit dem zugehörigen Deckel versehen. Der Deckel ist aus Sperrholz, der Metallriegel schnappt in das Schloss. Vorsichtig, um den schlafenden Kerl nicht zu wecken. Sie hatte sich davongestohlen. Froh erschrocken über ihren Wagemut und unverrichteter Dinge. Der Typenhebel Eff klemmt immer noch. Ludwig hatte mit
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