Sepia
Aufschrift
Abort
. Treppab die Küche, der Gastraum, der Frühstückstisch. Eli darf sich am Morgen selbst bedienen. Milch ausdem Kühlschrank, Butter, Kirschmarmelade. Eine Semmel aus der Beuteltasche.
Treffpunkt Verwaltung. Der Lkw steht bereit, Eli, die Frauen steigen hinten auf die Ladefläche. Sie sitzen auf Holzkisten während der Fahrt durch das langgestreckte sozialistische Gönnernhausen, mit Gesang vorbei an Kirche, Kirchhof und am Pfarrhaus, dahinter das Kriegerdenkmal, gekrönt von einem buckelnden Adler, die geblümten Vorgärten, die Maschinen-Traktoren-Station, der Salon der Genossenschaft des Friseurhandwerks, die Bushaltestelle, das Transparent
Gönnernhausen erfüllt den Plan
, die Bäckerei Strauß, die Rinderställe, die Silos für das Schweinefutter. Kirschplantagen. Rauschender Wald. Das Ziel ein kilometerweites Feld, die Zuckerrüben. Eli hält ein Schreibheft auf dem Knie. Sie versucht eine Skizze und macht ein paar schnelle Notizen. Von L. geträumt.
Am Halteplatz neben dem Gerätewagen wartet und schimpft der Gerätewart. Er teilt die Hacken aus, er klopft die lockeren Stiele fest in das Blatt. Er entscheidet, ob heute einreihig oder zweireihig über das Feld gearbeitet wird. Die Zuckerrübe steht gut. Es ist der dritte Hackgang in diesem Jahr. Vor sechs Wochen sind die Reihen gelichtet worden. Jetzt wird gelockert oder, wie der Rübenbauer weiß, der Zucker in die Rübe hineingehackt. Luft muss ran an die Rübe, das fördert den Glucosegehalt, die Niederschläge müssen an die Wurzelspitzen. Hier in der Lehmgegend Gönnernhausen ist das besonders wichtig. Lehm verkleistert die Kapillaren. Wir mit unseren Hacken schließen die Erde auf. Der Boden bekommt eine fruchtbare Krümelstruktur. Der Ertrag steigt und damit vielleicht auch die Zuckerproduktion.
Eli hat am Rain ein Stück Schiefer gefunden. Damit bearbeitet sie die Schneide ihrer Rübenhacke auf Feinschliff, auch die Schneide von Doris macht sie scharf. Eli geht mit Doris zusammen. Zweireihig, wie es der Gerätewart, der dicke schlechtgelaunteJürgen, heute bestimmt hat. Doris und Eli helfen sich gegenseitig, ziehen ihre vier Reihen nebeneinander. Kilometerweit über das Feld in Richtung Waldsaum. Dort wird gegen Mittag kehrtgemacht und zum Lkw zurück gearbeitet. Richtung Feierabend. Man hackt die verkrustete Erde, geradeaus, vorsichtig um die Rübenpflanze herum. Die Kraft kommt aus den Schultern, aus dem Nacken. Dadurch tut nicht nur der Rücken, sondern vom Kopf bis zu den Füßen eigentlich alles weh. Die Handgelenke werden dick. Wo die Beine angewachsen sind, in den Lenden, da zwickt es am meisten. Doris arbeitet barfuss. Die Lehmerde kühlt. Doris ist sechzehn Jahre alt. Mit ihren pechschwarzen Haaren, schwarzen Augen, ihrer kleinen frechen Nase, wird sie im Dorf Schneewittchen genannt, aber eigentlich sieht sie aus wie die schöne Wassilissa oder Katja aus der
Steinernen Blume
. Wenn Doris gegen die Sonne arbeitet, stehen ihre Augen schräg, sie hat dann einen trotzig verschlossenen Blick.
Schneewittchen, der Name fliegt über das Feld.
Schneewittchen geht auf die Oberschule. Sie will Lehrerin werden. Sie passt ins Dorf Gönnernhausen wie das indische Blumenrohr rings um die Fahnenstange vor der Verwaltung.
Schneewittchen, denkt Eli, nur das Falsche am Namen ist wahr.
Es ist der dreizehnte Rübenhacktag.
Man sieht, dass Doris und Eli häufig verweilen. Auf die Hacken gestützt. Die anderen Frauen sind bald am Waldsaum. Der Abstand ist größer geworden. Doris redet. Sie macht den Mund auf. Eli kommt wie gerufen. Eli ist neu hier, ein Gast, der bald wieder abzieht. Eine Praktikantin, die das Landleben studiert und dabei manchmal ins Grübeln gerät. Manchmal schaut sie hinauf in die Wolken. Doppelte Belichtung. Gegenläufige Bewegung. Eli denkt an das kaputte Eff an der Schreibmaschine.Ludwig. Der Dekan bestimmt die Laufbahn. Er entscheidet. Er wünscht eine gute Zeit. Jemand hat diesen Ort ausgesucht. Ich bin hier. Meine Augen tränen. Staub streift über das Feld. Meine Ohren hören den Wald, den stärker werdenden Wind in den Bäumen, das fortgesetzte Säuseln, das Hintergrundrauschen. Das Leben läuft. Mit dem Urknall hat alles angefangen.
Doris macht weiter mit einer Frage.
Am 16. September 1946 in Gönnernhausen geboren. Sagt dir das nichts.
Eli zuckt die Achseln.
Doris kratzt mit der Hacke ein Loch in den Acker. Das ist mein Geburtstag. Der 16. September 46.
Mama war eigentlich noch in der Lehrerbildung,
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