Sepia
einmal Briefe. Was soll man dazu sagen? Ich verstehe das nicht. Es hat deswegen eine Auseinandersetzung mit meinem Mann gegeben. Dieser Streit ging sehr weit. Ob ich nicht mehr zu unserer Sache stehe, also auf dem Boden des Sozialismus. Das ist nicht der Fall. Wofür haben die Menschen gekämpft, wofür sind sie im KZ gestorben? Darüber hat unsere Tochter leider nicht nachgedacht. Damit müssen wir Eltern leben. In der unverbrüchlichen Hoffnung, dass die Kommunistische Partei Italiens ihr Ziel erreicht. Wie die kubanischen Kämpfer. Fidel Castro macht uns Mut. Vielleicht gibt es vorher doch noch einen Weg, dass man sich sieht, oder wenigstens ein briefliches Lebenszeichen.
Herzlich grüßt Sie, liebes Fräulein,
die Mutti von Erika,
Enricos Oma.
Zu Silvester hatte Anton von den Moritzburger Teichen zwei Karpfen besorgt. Den großen für Dubberts, den kleinen hatte er sich selber gekocht. Polnisch, in Malzbier.
Seine Enttäuschung, dass er ohne Eli essen musste, auch vorher zu Weihnachten war sie nicht gekommen, ist dieser Tage verraucht. Nun ist sie da, zu Dreikönig, als Neujahrsbesuch.
Anton hat Briketts aufgelegt. Die Wasserpfanne spuckt. Tropfen tanzen über den blanken Herd.
Eli hat ein langes Schläfchen auf Antons neuer Luftmatratze gemacht. Sie gähnt. Herrlich, wirklich, man schaukelt wie auf hoher See.
Schön, dass du gelandet bist, sagt Anton. Er klappt das Rätselheft zu. Räumt die Illustrierte und die
Grüne Post
vom Tisch. Das hat Zeit, später, wenn die Stunde lang ist.
Anton erzählt, wo der Striezlmarkt dieses Jahr war. Auf dem Altmarkt und um die Kreuzkirche herum.
Dort ist er doch immer, sagt Eli.
Das Wasser kocht seit einer Weile. Die Dämmerung ist schon gekommen. Bald gibt’s Nachrichten und eigentlich Bier, aber Anton kocht gerne um diese Zeit mal einen Kaffee. Er reibt sich die Hände. Eli sitzt endlich am Tisch. Sie ist endlich fertig mit Gähnen. Die Kaffeemühle zwickt durch die Hosen ins Beinfleisch. Quietscht. Müller, Mehler, Metzenstehler. Die Bohnen krachen.
Anton hat noch genug Stollen in Reserve. Drei Sorten, einmal Mandel vom Bäcker Gocht und zweimal Rosinen vom Altmarkt. Einen Mandelstollen hat er nach dem Westen an Heinrich geschickt. Von Heinrich liegt für Eli ein Weihnachtspäckchen hinter der Gardine. Anton hatte es aufgeschnürt, um nachzusehen, ob Verderbliches drin ist. Er hatte es wieder eingepackt, nur das herausgenommen, wo draufstand: Frohe Weihnachten für Anton. Zigaretten, zwei Nylonhemden bügelfrei. Ein weißes und eins gemustert, gelbe Zitronen, weiße Blüten, grünes Laub. Beinahe zu schade zum Anziehen. Wahrscheinlich hatte wieder Trudchen beim Packen geholfen.
Eli stöbert neugierig im Karton. Das Seidenpapier muss gerettet werden. Zuerst hat sie in durchsichtiger Folie das Allerneuste in Händen. Strumpfhosen, Schlüpfer und Strümpfe in einem Stück, federleicht, hauchdünn, reißfest, aber, so vielweiß man, hochempfindlich. Vorsicht, wenn eine Masche rennt, dann rennt sie. Dann ist wahrscheinlich nichts zu retten. Noch mehr kommt zum Vorschein. Lux-Seife, Kakao und Trumpfschogetten. Anton sitzt auf dem Sofa und freut sich, weil sich Eli freut. Was kost’ die Welt, Weihnachten ist vorbei, wir holen die Festlichkeit nach, gehen in die Vollen. Dank Heinrich. Wir wollen nach den verschiedenen Stollen, nach dem Kaffee und kurz vor dem Abendessen am überladenen Stubentisch in einem Anfall von Leichtlebigkeit noch eine Kostprobe nehmen. Schogetten, was ist denn das?
Das ist der Augenblick, wo alle Schätze, das Zitronenhemd, die Strumpfhosen, die Tabaksachen, in den Schatten geraten. Unser listiger Großvater Heinrich. Sauber, man kann sagen fabrikmäßig, unter Zellophan und Glanzpapier und Stanniol,
Billard um halb zehn
von Heinrich Böll, statt Schokolade ein Buch.
Heinrich, Heinrich, sagt Anton. Und meint nicht Böll, sondern den Paketabsender, Elis schlesischen, nunmehr im Westen lebenden Großvater. Heinrich, den Vertriebenen, der seinen Lastenausgleich verpulvert mit Geschenken, dass Anton auf dem Plüschsofa in Dresden nun fast die Tränen kommen. Zu all den Sachen jetzt auch noch ein Buch, leicht und klein, trotzdem steht ein ganzer Roman drin, wie für die Manteltasche gemacht oder für Pralinenschachteln erfunden, für Grenzpakete. Ein Taschenbuch.
Woher er nur weiß, was ich mir wünsche, hast du ihm das etwa geschrieben?
Kein Wort, sagt Anton.
Unter dem anderen Stanniol steckt in fertig mundgerechten Quadraten dann
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