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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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zuversichtlich, sondern auch ausgeschlafen ihre Pläne verfolgt. Etwas schwindlig, wie seekrank, aber froh.
    Sie beschriftet braune größere Briefumschläge. 13 mal 21, DIN A5, Antons Absender, ihre Adresse, sie frankiert mit Doppelporto, ein Normalbrief passt ohne Mühe hinein.
    Anton kapiert. Wenn es weiter nichts ist. Das macht er mit links und sogar gerne. Mit heimlicher Erleichterung. Ein entfernter Galan und dazu noch hinter der Grenze, das muss ihm viel weniger Kummer machen als ein Kerl im Studentenheim nebenan.
    Hast du ein Foto von deinem Ludwig?
    Eli hat eins, auf dem kann sie gleich noch Siegfried und Felix vorführen, von Eli sieht man den Rücken, zusammengebundene Haare, den Ellenbogen, in der rechten Hand eine Flasche, Milch. Das ist unser pompöser Seminarsalon. Der Linke auf dem Bild, das ist er, Ludwig, mon amour.
    Anton betrachtet das Bild. Der Linke also, sagt er, der daneben, der Blonde mit der Taschenuhr, macht aber auch einen sehr zuverlässigen Eindruck.
    Der ist es nicht. Es ist der Linke.
    Eli reißt ihm das Foto aus der Hand, sie dreht sich zum Fenster.
    Was ist denn nun wieder, bist du beleidigt, weil mir die Uhrvon dem Blonden gefällt, ich habe doch gesagt, dass ich dir die Briefe von dem linken Kerl, sobald ich sie bei mir auf dem Tisch habe, in den adressierten Briefumschlägen schicken werde, was ist denn nun wieder falsch.
    Nischt, sagt Eli. Gar nischt.
    Na also. Hör auf zu fänzen. Eli fällt der wundersamen Großvatererscheinung, Zitronenhemd, weiße Zähne, um den Hals.
    Es ist halt schwer, es tut halt weh.
    Das brauchst du mir nicht zu erzählen.
     
    Umsonst hält Eli am Pförtnerfenster Ausschau nach großen braunen Briefumschlägen.
    Billard um halb zehn
macht die Runde. Zuerst liest Schubert. Er hat manches auszusetzen. Zu viel Natur, zu wenig Natur. Keine Form oder immer noch 19. Jahrhundert.
    In Saal zwei wirft der Vorführer
Die Kraniche ziehen
von dem georgischen Regisseur Kalatosow an die Wand. Wie die mandeläugige Tatjana Samoilowa mit ihren X-Beinen in Richtung Horizont rennt, wie sie im Ausschnitt der Handkamera stolpert, zickzack, rechts links, immer der Stupsnase nach, anstatt geradeaus zu laufen. Das Land ist weit. Die Unendlichkeit Russlands. Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Immer wenn es spannend wird, wenn Eli wissbegierig und ergriffen wach bleiben will, schläft sie ein. Sie sinkt tief in ihren roten Sessel. Träume fallen über sie her. Gute und schlechte. Sie träumt lieber schlechte Sachen, zum Beispiel, dass sie im Theaterfoyer in einer kurzen fliederfarbenen Bluse herumspaziert, untenherum nackt, derweil das Leben so tut, als wäre daran nichts auszusetzen. Oder Dietrich, ein Knabe in Sepplhosen, durch dunkle Umstände ist er in den Besitz von Antons Pistole gekommen, wie sie beide, Dietrich und Eli, von einem Balkon in der Rehefelder Straße erst mit Wäscheklammern und dann aus der Pistole auf die Passanten schießen. Mit scharfen Patronen.Es ist die Wohnung von Frau Strohbach, Lehrerin in Deutsch und Musik. Unverkennbar wie einst und hautnah. Genau in die geträumte Katastrophenstimmung poltert das Ende, ringsherum das dumpfe Klappen der rot gepolsterten Sitze, Saallicht blendet. Taglicht bricht ein, jemand hat die schweren schwarzen Wachstuchvorhänge aufgezogen. Fenster auf. Tür auf. Durchzug. Eli atmet den süßen Sauerstoff. Das Schlechte ist nicht wahr. Die Luft ist rein. Aufwachen nach einem schlechten Traum ist, als wärest du nicht erwischt worden. Schuld ist getilgt, sogar das Gewissen ist etwas erleichtert.
    Oft träumt Eli: Eli kann Klavier spielen.
    Das Instrument steht in einem Gartenzimmer. Inmitten von Blumentöpfen, üppig blühenden Kamelien. Schon das ist ein Wunder. Lauter hochsensible Sorten. Minna Seidel. Prinzess Marie? Ausblick auf den Pillnitzer Park oder auf die Bornstedter Feldflur. Sie setzt die Finger, sie spielt locker wie der berühmte Wilhelm Kempff. Das nämliche Stück von Beethoven. Licht im Schatten des sinkenden Tages. Alles aufgehoben. Um zu träumen, muss der Mensch sehr umsichtig sein, er darf die Ränder des Alltags sowie die vorigen Träume nicht vergessen, er muss sparsam, geschickt und einfältig leben wie die alten Götter.
    Eli hatte den Pianisten im letztvergangenen Sommer gehört, er hatte gespielt, während sie im Staudenrevier über den Tag zehn Mark verdiente, es war ein heißer Tag, die Jungpflanzen brauchten Wasser. Eli hatte die Kannen unter dem offenen Fenster vorbeigeschleppt,

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