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Sepia

Sepia

Titel: Sepia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Schuetz
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Ich sitze tief in der Tinte.
    Deine Eli.
     
    Es schneit. Unter dem Bademantel ist Eli noch warm, noch erhitzt von der Nacht. Nur die Füße sind schon wieder eiskalt.
    Kafka, hatte Schubert gesagt, den habe ich mit vierzehn in der Schulzeit gelesen, noch vor Brecht. Der ganze Kafka ist in Brecht enthalten. Im Hegel’schen Sinn dialektisch aufgehoben.
    Schubert hatte die
Beschreibung eines Kampfes
mitgebracht. Ein Taschenbuch. Zum Schnuppern. Um daraus vorzulesen. Schubert hatte kurze Geschichten ausgesucht.
Die Brücke. Der Geier. Heimkehr.
Er wollte das Buch unbedingt wieder mitnehmen, denn er hatte es vom Freund seiner Scheinverlobten nur geliehen, aber dann hatte Schubert nicht mehr an das Buch gedacht. Es lag beim Abschied auf der Matte neben dem Bett, da hatte es Schubert nach der zärtlichen Lektion sorgfältig abgelegt. Vergessen. Das geschieht ihm recht.
    Eli horcht, ein Klappern hinter der Tür, die streunende Katze, oder ob Schubert wohl noch einmal zurückgekommen ist.
    Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man
.Das hatte Schubert vorgelesen, das steht in einer Geschichte von Kafka. In
Heimkehr
. So viel Wahrheit in einem einzigen Satz.
    Eli kriecht wieder ins Bett. Zusammen mit dem erbeuteten Buch. Langsam weicht das Gaunergefühl, langsam kommt die Genugtuung. Zuerst liest sie die Nachworte von Brod, dann von Anfang bis: Stummheit gehört zu den Attributen der Vollkommenheit. Auch den folgenden Tag bleibt Eli im Bett. Sie liest Kafka. Noch einmal von vorn.
    Bitte nicht stören, denn ich bin auf bestem Wege, ein vollkommen unglücklicher Mensch zu werden.
     
    Eli hatte sich diesen Winter bei den Räum- und Streubrigaden der Stadtreinigung vormerken lassen. Nachtsondertarif: Bei Schneefall drei Mark pro Stunde. Nun lebt sie, ihre Wünsche betreffend, in zwei Teilen. Himmel, schicke Schnee, Himmel, wirf deine schweren Lasten woandershin, bitte nicht in den hiesigen Raum. Zeit oder Geld.
    Anton hatte manchmal behauptet, die Arbeitslosigkeit Ende der Zwanziger sei seine schönste Zeit gewesen. Als Schülerin mit Unterricht in Gegenwartskunde war Eli empört.
    Opa, du lügst doch wieder.
    Nein wirklich, Eli, das kannst du mir glauben. Nie wieder habe ich so viel gelesen.
    Ist doch Quatsch, Opa, ich denke, ihr hattet gar keine Bücher.
    Anton: Es gab Volksbibliotheken. Lingner, Odol-Mundwassers-Lingner, der hatte gute Bücher in der Werksbücherei. Viel über Hygiene und Gesundheit, aber auch Hölderlin, Ricarda Huch, Fallada, Werfel.
    Dann erkläre mir, warum du Kommunist geworden bist.
    Ich war und bin Internationalist, gegen den Nationalsozialismus, und für die Berge bin ich auch.
    Aber wovon habt ihr, du, deine sechs Brüder und Mutter Emma, ohne Arbeit gelebt?
    Vom Vagabundieren, Fischefangen, Wildern und Nüssesammeln. Von Emmas Deputatzigaretten aus der Zigarettenfabrik, die haben wir verkloppt. Emma hatte als Einzige Arbeit. Zeit ist Geld, das stimmt nicht. Zeit ist Leben.
    Eli lebt, weil es nicht schneit. Sie verordnet sich Bettruhe. Sie braucht die Winterwochen für ihre neue Krankheit, das Kafka-Fieber.
    Bevor die offiziellen Winterferien beginnen, wickelt Eli die
Beschreibung eines Kampfes
in Zeitungspapier. Ein neutrales Päckchen liegt auf Schuberts Pult. Verständnisinnige Blicke. In der Seminarpause ein verbindlicher Dank. Danke, Rafaela. Bitte.
     
    Eli fährt nach Berlin. Mit dem Sputnik, Doppelstock, bis Bahnhof Karlshorst, dann mit der S-Bahn zum Alexanderplatz.
    Sie läuft die Strecke bis zum Sportgeschäft am Strausberger Platz, wo sie manchmal Schlafsäcke und Kletterschuhe aus Hirschleder haben, dort weiter die Karl-Marx-Allee und dann die Frankfurter. Eine Straßenseite hoch, die andere zurück. Auf der Suche nach einem Lampengeschäft. So viele Lampengeschäfte wird es nicht geben. Fragen kostet nichts. Entschuldigen Sie vielmals, arbeitet bei Ihnen eine Frau Zweig. Ludwig hatte am Mensatisch manchmal von seiner Mutter gesprochen, er hatte das Lampengeschäft erwähnt, die Frankfurter Allee, die Arkaden der alten Stalinallee. Wie gut, dass er damals so eitel, so mitteilsam war. Und Eli so aufmerksam. So gefangen von seiner komischen Spaßmacherstimme.
    Leicht zu finden.
    Im Schaufenster auf verschieden hohen Podesten, in Form und Farbe passend, Nachttischlampen für Ehebetten. Dahinter,eine aus Pappschachteln aufgebaute Mauer. Narva-Glühbirnen. Eli zögert nicht.
    Entschuldigen Sie die Störung, ich suche Frau Zweig.
    Martha? Ja, unsere Kollegin Zweig arbeitet

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