Sepia
Nachricht vom wunderbaren Fund im Weingarten des Felice de’Freddi verbreitet sich in der Stadt.
Unter Fachleuten herrscht Aufregung. Der Papst wird in Kenntnis gesetzt. Der schickt reitende Boten.
Giuliano da Sangallo, der Stadtarchitekt, lässt sofort anspannen, Michelangelo Buonarroti, der zufällig im Haus ist, steigt mit in den Kutschwagen. Auch Sangallos zwölfjähriger Sohn darf mitkommen. Sie fahren gradewegs nach St. Pietro in Vincoli zum Freddi-Weingarten.
Sechzig Jahre später hat der Sohn das Ereignis nicht vergessen. Er beschreibt es in einem Brief:
Ich war seit wenigen Jahren das erste Mal in Rom, da wurde dem Papst berichtet, man habe in einem Weinberg bei Santa Maria Maggiore sehr schöne Statuen gefunden. Der Papst befahl einem Reitknecht, gehe und sag dem Giuliano Sangallo, er soll sofort hingehen und nachschauen. Und so ging er sofort hin. Und da Michelangelo Buonarroti sich ständig im Haus aufhielt, weil mein Vater ihn hatte kommen lassen und ihm das Grabmal des Papstes verschafft hatte, da wollte er, dass auch er mitging. Als wir hinuntergestiegen waren, wo die Statuen standen, sagte mein Vater sofort:
Das ist der Laokoon, den Plinius erwähnt.
Man ließ das Loch erweitern, um ihn herauszuziehen, und als
das geschehen war, kehrten wir zurück, um zu speisen, und man redete immer von den antiken Dingen und auch von den Angelegenheiten in Florenz.
Papst Julius II. kauft die Skulptur zwei Monate nach der Entdeckung. Es war die alte Marmorgruppe, von Künstlern aus Rhodos ungefähr 200 vor Christus geschaffen, lange verschwunden, doch nie ganz vergessen. Nicht zuletzt dank des Historikers Plinius, der sie an einer Stelle seiner Schriften als ein außerordentlich eindrucksvolles Kunstwerk preist.
Ein Sachverständigenrat tagt, das gut erhaltene, jedoch reparaturbedürftige Fundstück muss gereinigt, fehlende Teile sollen ersetzt werden.
Die Seele des alten Werkes sei zu bewahren.
Auch Michelangelo wird gebeten, sich dieser Sache anzunehmen. Er lehnt ab. Aus Demut.
Wie tief er von der Skulptur beeindruckt ist, zeigt, dass er später in Florenz den Kopf des Laokoon an die Wand seines Arbeitsraums in der Sakristei der Medicikapelle malen wird: die Haarlocken, die Stirn, die typischen Laokoon-Brauen, den Mund für den letzten Atem offen.
Ein anderer Künstler, Angelo da Montorsoli, hat inzwischen im Auftrag eines Nachfolgepapstes, Clemens VII., den kostbaren antiken Fund restauriert.
Die Skulpturengruppe wird im Belvedere aufgestellt, Laokoon streckt seinen neuen Arm weit nach oben. Er hält eine Schlange fest im Griff, ein anderes Schlangenmaul berührt seine Hüfte.
Michelangelo malt in der Sixtuskapelle. Täglich geht er durch das Belvedere an dem antiken Kunstwerk vorbei. Angst und Schmerz. Signale aus dem Brunnen der Vergangenheit. Aus mancher Körperhaltung, die Michelangelo seinen Figuren gibt, vor allem den Aposteln des Jüngsten Gerichtes, spricht das bewunderte Vorbild. Er überträgt den Ausdruck des Leidsder Laokoon-Gruppe auf seine Schar vor dem Weltenrichter. Er malt die nämliche Unausweichlichkeit.
Spielst du mit?
Jürgen hat das Atelier mit einer brauchbaren Dekoration übernommen. Umgekippte Tische, Kupferkessel, ein zugehängter Tankwagen, damit kann er was machen. Er startet erste Versuche mit der Kamera. Bogenlampenlicht will er nicht haben. Von der Requisite im Deutschen Theater hat er sich eine 1500-Watt-Nebelmaschine ausgeliehen. Es ist ein kleiner, einfacher Apparat, dazu Nebelfluid, besonders geeignet für länger anhaltenden blickdichten Dunst, eine Flasche davon wird genügen, die hat sich Jürgen aus Studiobeständen beschafft.
Eli ist einverstanden. Sie macht mit, obwohl sie weiß, dass so ein Versprechen wieder viel Zeit kosten wird. Sie macht mit, weil Jürgen vorwärtskommen muss und weil er nicht lockerlässt und weil die Studentinnen von der Fakultät Schauspiel nicht mitspielen dürfen. Grundsätzlich ist ihnen jede Filmrolle, jeder Tag auf der Bühne, ob mit oder ohne Geld, während der Ausbildung untersagt. Denn das verdirbt den Charakter und die Kunst, das bestimmt der Schauspiel-Natschalnik von oben. Von ganz oben, vom Ministerium in Berlin, angeordnete Rollenbesetzungen in Hauptplanpositionen nimmt er tief schweigend hin. Muss er. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Weiß er.
Eine Hauptplanposition in Farbe, Cinemascope, eventuell auf Kodak, also auf Devisenmaterial gedreht, das ist das Höchste und damit das genaue Gegenteil zu Jürgens
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