Septemberblut
brachte meine Kleidung in Ordnung und verbarg die Waffen. Immerhin würde ich mich wieder unter Menschen begeben müssen. In der Hosentasche fand ich ein Tütchen mit einem Erfrischungstuch. Ich riss die Packung auf und wischte mir das Gesicht sauber. Der Alkohol und das Zitronenaroma brannten noch in meiner Nase, als ich ins Freie trat.
Niemand zu sehen. Ich war allein – oder nicht?
Wieder beschlich mich diese seltsame Nervosität. Die kalte, frische Lebenskraft des Vampirs rann wie Wasser über meine Haut. Vielleicht war ich nach der Jagd übersensibel.
Meine Augen suchten nach Ungewöhnlichem und fanden nichts.
Die abgeblätterte Farbe des Zauns, eine Ratte, die im Müll wühlte, allgegenwärtige Kakerlaken und eine dünne Mondsichel am Himmel.
Ich beschleunigte meinen Schritt und schlug den Weg zur nächsten größeren Straße ein, wo ich ein Taxi anhalten wollte. Ich hatte mich gegen den Fußweg entschieden und wollte lieber zu Hause den Nachklang meines Festmahls genießen.
DieStraßen waren menschenleer und still, dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, verfolgt zu werden. Kurz glaubte ich jemanden von Gordons Clan zu wittern. Ich blieb stehen, konzentrierte mich. Der Wind trug den Geruch von altem Blut heran, doch das elektrisierende Gefühl, das die Nähe eines anderen Unsterblichen üblicherweise mit sich brachte, blieb aus. Ich musste mich also geirrt haben.
Vielleicht haftete noch etwas Blut des Verurteilten an meiner Kleidung. Ich sah an mir hinab, fand aber nichts und ging weiter. Meine Schritte hallten schwer über das Pflaster und das üppige Mahl machte mich träge. Ich sah mich immer wieder um und schimpfte mich gleich darauf paranoid. So schnell konnte Gordon niemanden schicken.
Ich wollte Curtis Bescheid geben. Telepathie zu benutzen hätte meine anderen Sinne eingeschränkt, daher zog ich erneut mein Handy aus der Tasche. Curtis meldete sich sofort. Anscheinend hatte er meinen Anruf erwartet.
»Das Urteil ist vollstreckt«, berichtete ich, leckte mir die Mundwinkel sauber und hatte den Geschmack von Plastik und Zitrusaroma auf der Zunge. Großartig! Ich spuckte aus, doch die Chemie des Erfrischungstuchs hatte den guten Nachgeschmack gründlich verdorben.
»Hat er Probleme gemacht?«, fragte Curtis.
»Nein. Aber ich konnte nicht verhindern, dass er noch einmal jagt.«
»Und das Opfer?«
»Wird niemand als solches erkennen. Der Vampir stammte von Gordons Brut, wie du vermutet hast. Er war nicht älter als ein paar Wochen, vielleicht auch nur Tage.«
»Gut gemacht, mein Junge.«
»Wir sehen uns.«
Ich ließ das Telefon zuschnappen. In der Ferne rauschte der Verkehr. Der Olympic Boulevard war nicht mehr weit. Ichblieb stehen und sah in ein Schaufenster. Die Scheibe reflektierte mein Spiegelbild. Von den Kratzern im Gesicht war nichts mehr zu sehen.
Ich grinste zufrieden wie eine satte Katze, die von der Sahne genascht hat, und setzte meinen Weg fort.
Mit trägen Schritten erreichte ich schließlich den Boulevard und blieb zwischen einigen Zeitungsboxen stehen. Nicht weit entfernt schlief ein Obdachloser in einem Gebüsch. Selbst im Schlaf hielten seine Hände das Rad eines Einkaufswagens umklammert, in dem sein Besitz untergebracht war.
Ich drehte dem Mann den Rücken zu und trat auf die Straße.
LA war nicht New York, und es glich einem Abenteuer, ein Taxi heranzuwinken. Nach einigen Versuchen hielt schließlich ein fröhlicher Inder an, und ich stieg ein.
Während ich mich anschnallte, kehrte das deutliche Gefühl zurück, verfolgt zu werden. Leise Panik machte sich breit. Ich drehte mich im Sitz, starrte aus dem Fenster in die Nacht. Und dann sah ich ihn: Frederik!
Wie konnte das sein?
Ich hatte mit eigenen Augen die Leiche des Mannes gesehen, war bei seiner Beerdigung gewesen. Ehe ich michs versah, trat der Inder aufs Gas und katapultierte das Taxi in einem waghalsigen Manöver auf die Straße hinaus. Ein Hupkonzert bestätigte, dass er sich erfolgreich in den Verkehr gezwängt hatte. Dann ging es nur noch im Schritttempo weiter. Ich sah durch das Rückfenster. Nein, es war keine Einbildung gewesen.
Da stand er noch immer, Frederik. Eine lebende Leiche!
Mein Herz schlug bis zum Hals. Der Gedanke an den Vampirjäger ließ mich nicht mehr los. Hatte er beobachtet, wie ich das Urteil vollstreckte? Und wenn er unsterblich war, warum konnte ich ihn dann nicht spüren?
Vonihm war der Geruch nach altem Vampirblut gekommen, den ich die ganze Zeit über wahrgenommen hatte.
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