Septemberblut
sie eine Weile in den Armen. Ich trug sie durch den Raum, drehte mich mit ihr. Sie zog mich in einen hungrigen Kuss, und wir sanken auf das Bett. Es quietschte, die alte Matratze hing durch wie eine Hängematte, doch das war egal.
Amber lächelte, strahlte, und verwandelte meine Welt in einen Palast. Die Frau meiner Träume lag dort vor mir wie das kostbarste Geschenk.
Ich stand noch einmal auf, schloss die Tür ab, entzündete ein paar Kerzen und löschte das Licht.
Ich konnte Ambers Begehren spüren, es legte sich wie ein dichter Schleier über uns.
Hitze floss durch meinen Körper. Ich trieb mein Herz noch an und atmete, wollte so lebendig und menschlich sein wie möglich für sie.
Ihr hungriger Blick lag warm und liebevoll auf meinem bloßenOberkörper und den Bewegungen meiner Arme, und ich genoss die Art, wie sie mich ansah. Doch plötzlich flackerte Unsicherheit in ihrem Blick, und sie starrte wie hypnotisiert an mir vorbei.
Ich sah mich irritiert um.
Kerzenlicht zuckte über den Sarg und funkelte auf dem Lack und den Intarsienarbeiten aus Perlmutt. Dieses verdammte Ding!
Energisch zog ich den Vorhang zu, doch das Unheil war angerichtet.
Das Begehren, das vor kurzem noch den Raum erfüllt hatte, wich dem bitteren Geruch von Furcht. Doch es war nicht nur das. Das Messer antwortete fein und brennend auf die Stimmung seiner Trägerin und reckte seine dünnen, schmerzhaften Finger nach meinem Herzen.
Ich keuchte, griff mir an die Brust und ging vor dem Bett in die Knie. Mit meinem Körper versperrte ich ihr die Sicht auf den Sarg und zwang sie damit, mich anzusehen. Ich durfte sie nicht verlieren, nicht jetzt! Ich rief meine Magie und sie tanzte über Ambers Haut.
»Julius, ich glaube, ich kann das nicht.« Ihre Stimme zitterte, als sie sich gegen meinen Einfluss wehrte.
Nur ein flehentliches Wort kam über meine Lippen. »Bitte.«
Sie streckte ihre Hand aus, berührte meine Wange und zuckte zurück wie nach einem Stromschlag.
»Du bist kalt!«, sagte sie entsetzt und rieb sich die Finger.
Oh nein, ich hatte die Kontrolle verloren! Es fehlte nicht mehr viel, und sie würde schreiend davonlaufen. Vor mir, einem wandelnden Leichnam!
Ich nahm ihre Hand und schmiegte mein Gesicht hinein. Diesmal war meine Haut warm und lebendig, doch ihr angewiderter Blick hatte etwas in mir zerrissen.
Indiesem Moment hasste ich Curtis. Er hatte mir vor all den Jahren nicht die ganze Wahrheit gesagt, mir die Schattenseiten unseres Daseins verschwiegen. Bis zu meiner Verwandlung hatte er alles in den schönsten Farben gemalt. Warum hatte er mir das angetan? Warum hatte er ausgerechnet mich gewählt? Vielleicht hätte ich damals noch ein glückliches sterbliches Leben führen können, mit einer neuen Frau, mit Kindern. Ich war doch noch so jung gewesen, damals.
»Julius, nicht.« Amber strich mir über den Kopf und grub ihre schlanken Finger in mein Haar. »Ich kann dich nicht weinen sehen.«
Ich sah auf und wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als sterbliche Augen zu haben anstelle dieses Raubtierblicks.
Amber lehnte sich vor, küsste mir die Tränen von den Wangen, und ihre Lippen glitten wie ein Treueversprechen über meine Haut.
»Komm zu mir«, wisperte sie und hob die Decke an. Ich gab meinem Herzen einen gleichmäßigen Rhythmus, atmete und versuchte, mit allen Fasern meines Körpers lebendig zu sein. Dann kroch ich ins Bett.
Wir schauten uns lange an, und ich überließ es Amber zu entscheiden, wann sie genug gesehen hatte. Doch ich hatte Angst. Angst, dass sie nicht fand, was sie suchte, Angst, dass sie mehr fand, als gut war.
Ihre Augen hielten mich im Bann.
Auch hier, im Dämmerlicht der Kerzen, konnte ich die feinen goldenen Sprenkel ausmachen, die die grüne Iris tupften. Ich liebte Amber dafür – so wie ich fast alles an ihr liebte.
Die Zeit kam mir endlos vor und ich wagte nicht, mich zu bewegen. Meine Hand lag wie festgefroren in ihrer. Was gingjetzt wohl in ihrem Kopf vor? Wog sie ab, ob es richtig war, einen Vampir zu lieben? Dachte Amber darüber nach, ob ich wirklich tot war, oder vielleicht nur auf eine andere Art lebendig?
War nicht auch das menschliche Leben nur eine Reihe mechanischer Prozesse, die erst durch Magie oder eine Seele zu dem wurden, was sie tatsächlich waren, nämlich ein Wunder? Und war nicht auch meine Existenz etwas Wundersames? All die Jahre, ohne dass der Körper alterte …
Meine Seele allerdings trug schwerer und schwerer an all den Erinnerungen,
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