Septembermann: Lovestory (German Edition)
heimsucht? Er ist ein begehrter Tiger, obwohl er nie auf Häschenjagd geht. Bevorzugt er Hasen? Debbie befürchtet, dass Sascha ein Geheimnis, sein Geheimnis, mit sich herumträgt? Eine Frau? Eine Krankheit? Angst? Ein Schmerz aus der Vergangenheit?
*
In Bodenseestetten ist es kurz vor achtzehn Uhr. Jane ist im Wohnzimmer am Wuseln. Ihre Lieben halten sich derweil in der neuen Küche mit dem rustikalen, imposanten Sichtbalken und der integrierten Kochinsel auf.
Tausend Erinnerungen ziehen in lebendigen Bildern an Jane vorüber. Weihnachten daheim, all die Jahre ein unvergessliches Erlebnis in ihrem Elternhaus. Ihre Kinderaugen strahlten, als sie das letzte Türchen des Adventskalenders öffnete. Das Zählen, bis das Christkind kam, hatte ein Ende.
Dass ihr werdender Opa den Fuß gebrochen hat, kommt ihr gelegen. Seine Tochter genießt es, sich um ihn zu kümmern, ihm etwas zurückzugeben von seiner Fürsorge. Jane legt ihre Hände auf den Bauch und betrachtet ihre Blautanne. Engel, Kugeln und Kerzen schmücken die Grünzweige in warmen Rot- und Goldtönen. Darunter sind die Gaben hübsch versteckt in Samt- und Seidenpapier. Eine Person wird leer ausgehen. Diese Revanche verschafft Jane eine Genugtuung für Coras Geheimniskrämerei im Zusammenhang mit dem Haus- und Möbelkauf. Mal schauen, wie sie schaut, wenn sie ihr ungefülltes Tütchen öffnet.
Der Adventskranz, ein Flechtwerk aus Tannenzapfen, Hagebuttenzweigen, Efeuranken, ve rziert mit Bänder, Schleifchen und Wachslichter, wirkt majestätisch als Solist auf der funkelnagelneuen Anrichte.
Jane wirft ein rotes Tafeltuch über den Esstisch, fügt Teller, Gläser, Bestecke hinzu und drapiert weiße D amastservietten von ihrer Großmama. Sie stellt einen mehrarmigen gedrechselten Holzleuchter in die Mitte, gruppiert Baststerne und ordnet Teelichter zu einer flackernden Tischgasse.
In der Hoffnung, dass dieser Heilige Abend zu einer Sternstunde für ihre liebenswe rte Mischpoke wird, öffnet Jane die Wohnzimmertür und bittet sie herein. Die Küchenmamsell wird in den höchsten Tönen gelobt und Janes Augen funkeln. Doch eine Sternstunde!
Beim Geschenkeauspacken grübelt Cora mit bekümme rter Miene schweigend vor sich hin, als sie vergeblich nach dem Inhalt ihres Päckchens sucht.
*
Sascha , der Debbies Einladung zum Truthahnessen am Heiligabend angenommen hat, nimmt Platz in der geblümten Couchrundecke und streckt seine Beine auf dem flauschigen hellen Teppich aus, der die Sitzgruppe einrahmt. Er beobachtet kurz Debbie, die in der blitzsauberen offenen Küche, in der der runde Kühlschrank neben den cremelackierten Einbauschränken auffällt, bis sein Blick ins Nirgendwo schwebt. Weit weg von ihrem.
Debbies Herz hämmert bei seinem wehmütigen Anblick in der Brust, als wenn es herausspringen will. Spontan beschließt sie, die Bescherung vorzuverlegen, bevor Mister German vollends in seinem Seelenblues versinkt. Sie öffnet die Backofenröhre und übergießt ihren Bratvogel mit Eigensaft. Bis zur Geflügelschlacht dauert es schätzungsweise eine halbe Stunde. Sie löst die Schleife der Servierschürze, die sie vorsichtshalber über ihr schwarzes Etuikleid gebunden hat, zieht das beigefarbene Pailletten-Jäckchen über, streicht über ihre hauchdünnen schwarzen Leggins und geht auf ihren Stöckeln in das Schlafzimmer. Vor dem Spiegel legt sie ein Medaillon um den Hals, knipst den Verschluss zu und nimmt ein Paket aus der Kommode. Nach dem letzten Blick auf ihr Spiegelbild wünscht sie sich, dass dieser denkwürdige Weihnachtsabend bis zum Morgen dauern soll und dass es in Saschas dunklem Keller der Erinnerungen hell wird. Er hat sich gedanklich in sich zurückgezogen und fährt zusammen, als Debbie mit ihrem Geschenk vor ihm steht.
„Ich hoffe, es tröstet dich ein wenig über dein Heimweh hinweg. Merry Chrismas, S ascha.“ Debbie fährt sich vor Aufregung durch ihre glänzenden Haare, deren Locken sie mit der Rundbürste gebändigt hat, als ihre Blondlocke beginnt, die Schleife der Verpackung zu öffnen, aus der er eine originale Weihnachtspyramide aus dem Erzgebirge zieht.
„Die Kerzen habe ich hier. Zünden wir sie an.“ Sie steht feierlich vor ihm und drückt die Radiotaste. Bing Grosby singt sein White Chrismas .
Sascha ist gerührt. „Wo hast du das Prachtstück erga ttert?“, fragt er mit vibrierender Stimme, öffnet den obersten Knopf seines schwarzen Hemdes und zieht den schwarz-weiß gestreiften Kragen
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