Septimus Heap 02 - Flyte
gegangen. Aber alle Hüterinnen und Königinnen wussten, dass der Besuch eine der beiden Bedingungen für die Sicherheit der Burg war – die andere Bedingung war die Anwesenheit der Königin.
Jetzt war der Besuch beendet, und Merrin sah, dass die Prinzessin die Arme um den Hals des Drachen schlang, wie um sich zu verabschieden. Und als sie ihn wieder losließ, hob der Drache langsam den Kopf, nahm seine gewohnte Haltung ein und war nichts weiter als ein wunderschönes Boot. Die Prinzessin betrachtete das Drachenboot noch einen Augenblick lang, dann kam sie mit Tante Zelda wieder den Weg herauf. Als sie sich der Hütte näherten, entschwanden sie Merrins Blick. Auf einmal wurde er sehr müde. Die ruhige stumme Szene, deren Zeuge er geworden war, hatte eine seltsam einschläfernde Wirkung. Statt auf den Treppenabsatz zu schleichen und zu lauschen, was er gewöhnlich tat, ging er wieder ins Bett und schlief sofort ein. In dieser Nacht hatte er zum ersten Mal nicht seine üblichen Alpträume.
Unten hatte Tante Zelda ein kleines Apfelholzfeuer angezündet und die Gläser zur Feier des Tages mit Pastinaken- und Kohlsaft gefüllt. Die Mittsommernacht war für jede Weiße Hexe eine bedeutsame Nacht, aber für die Hüterin der Insel Draggen war sie ganz besonders wichtig. Tante Zelda war die Letzte in einer langen Reihe von Hüterinnen, aber sie war die Allererste, die das Drachenboot draußen vor der Hütte vertäut hatte wie ein ganz normales Marschenboot. Alle ihre Vorgängerinnen hatten die Königin in der Mittsommernacht durch die Falltür im Tränkeraum hinunter in den Tunnel und dann zu dem alten Tempel geführt, in dem das Drachenboot von Hotep-Ra, seinem ersten Drachenmeister, zurückgelassen worden war.
Der zweite Drachenmeister des Drachenbootes saß jetzt, Pastinaken- und Kohlsaft schlürfend, am Kaminfeuer, spielte mit dem Drachenring, den er am rechten Zeigefinger trug, und sagte zu Jenna: »Was ist los? Was hat er gesagt? Erzähl.«
Jenna antwortete nicht, sondern starrte nur nachdenklich ins Feuer.
Tante Zelda setzte sich zu ihnen und sagte streng zu Septimus: »Du darfst die Königin – oder die angehende Königin – niemals fragen, was der Drache gesagt hat. Selbst in den alten Zeiten, als die Außergewöhnlichen Zauberer noch über das Drachenboot Bescheid wussten, hätten sie es nie gewagt, danach zu fragen.«
»Oh. Aber Jenna macht es doch nichts aus, es uns zu sagen, oder, Jenna? Und wenn es etwas Schlimmes ist, sollte sie sich nicht allein darüber den Kopf zerbrechen müssen.«
Jenna schaute vom Feuer auf. »Es macht mir nichts aus, dass Septimus danach fragt.«
»Das glaube ich gern«, erwiderte Tante Zelda. »Aber du musst wissen, wie die Dinge gehandhabt werden – wie sie immer gehandhabt wurden. Und da deine ... äh ... deine liebe Mutter nicht mehr unter uns weilt und es dir sagen kann ... nun ja, bin ich der Meinung, dass ich dir alles sagen sollte, was ich kann.«
»Oh«, stieß Jenna hervor und verfiel dann in Schweigen. Nach einer Weile sagte sie: »Ich möchte euch ja sagen, was der Drache zu mir gesagt hat. Er hat gesagt, dass ein Dunkelmann auf dem Weg hierher ist. Und dass er hier nicht mehr sicher ist...«
»Natürlich ist er hier sicher«, platzte Tante Zelda empört heraus. »Er ist hier bei mir , ich bin die Hüterin. Ich sorge für seine Sicherheit.«
Mit leiser, fester Stimme fuhr Jenna fort, blickte aber wieder in die Flammen, denn sie konnte Tante Zelda nicht in die Augen sehen, wenn sie ihr so viele unangenehme Dinge sagte. »Seit die Flut den Tempel fortgespült hat und er im Freien liegt, sagt der Drache, rechnet er damit, dass ein Dunkelmann ihn hier findet.«
»Und warum hat er dir das nicht schon bei deinem Besuch im letzten Jahr gesagt?«, fragte Tante Zelda gereizt.
»Ich weiß nicht«, antwortete Jenna. »Vielleicht wollte er nicht, dass wir ihn wieder unter der Erde verstecken. Er ist auch nur ein Mensch ... ich meine, ein Drache. Er liebt den Sonnenschein und die würzige Marschluft.«
»Eben«, sagte Tante Zelda. »Es wäre schrecklich, ihn wieder zu verstecken. Und er sieht so schön aus. Jetzt, wo er da draußen ist, rede ich unentwegt mit ihm.«
Jenna überlegte, wie sie Tante Zelda beibringen sollte, worum der Drache sie gebeten hatte. »Er sagt«, murmelte sie, »dass er von hier weg muss.«
»Was?«, brauste Tante Zelda auf.
»Ich soll den neuen Drachenmeister bitten, ihn an einen sicheren Ort zu bringen, so wie sein Vorgänger, als er ihn in
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