Septimus Heap 05 - Syren
ihn Nicko sich vorgestellt hatte. Der Leuchtturm Katzenfels war bekannt für seine große Höhe, und das Licht erschien ihm viel dichter über dem Wasser, als er erwartet hatte.
Sie segelten weiter, und Nicko wurde immer besorgter – hier stimmte etwas nicht. Eigentlich hätte längst der hohe Turm von Katzenfels auftauchen müssen, doch er sah nichts weiter als ein helles Licht in der Ferne. Der Mond schlüpfte hinter eine große Wolke, und mit einem Mal herrschte finstere Nacht. Nicko warf noch einen Blick auf den Kompass. Die Nadel zeigte unverändert 210 Grad und zitterte leicht über der Markierung, wie es Kompassnadeln zu tun pflegen. Sie waren noch auf Kurs – es ergab keinen Sinn.
»Snorri, kannst du Katzenfels schon ausmachen?«, fragte er nervös.
»Nein, Nicko«, antwortete Snorri. »Das ist eigenartig. Laut Karte müsste er schon zu sehen sein, glaube ich.«
Plötzlich ertönte aus dem Ausguck der Ruf: »Nebel voraus!«
Nicko war aufs Höchste erstaunt. Es war eine frische klare Nacht, in der man nie und nimmer mit Nebel rechnen würde. »Nebel?«, rief er nach oben.
»Aye, Sir«, lautete die Antwort. »Zieht in unsere Richtung.«
So etwas hatte Nicko noch nie gesehen. Eine Nebelbank wälzte sich über das Meer auf sie zu wie ein breite weiße Flutwelle, und gleich darauf hatte der Nebel das Schiff in eine kühle tropfnasse Decke gehüllt. Er schraubte sich an den Masten empor, umschlang die Segel und dämpfte alle Geräusche, sodass Nicko den überraschten Ruf aus dem Ausguck niemals zu hören bekam: »Leuchtturm Katzenfels gesichtet! Dunkel... er ist dunkel, Sir!«
Syrah saß im Kieker oben auf der wackeligen Leiter, die sich quietschend und knirschend in den rostigen Schienen bewegte und endlos im Kreis drehte. Ein hellblaues Licht erfüllte den weißen Raum, und als Nickos Schiff auf eine Höhe mit den blinden Augen des Leuchtturms Katzenfels kam, warf Syrah den Kopf zurück und öffnete den Mund. Tief aus ihrem Innern stieg ein wunderschöner, lieblicher, betörender Gesang herauf. Die Töne verklangen nicht wie bei einer normalen Stimme, sondern schwebten in der Luft und warteten darauf, dass sich weitere mit ihnen vereinten. Sie bildeten Wirbel im Innern des Kiekers und drehten sich zu einem Strudel aus Klängen zusammen, der mit jeder Umdrehung lauter und kräftiger wurde, an den Wänden entlangfegte, immer weiter anschwoll, bis er schließlich wie ein Vogel aus dem Fenster flog, hinaus in die Nacht und über das Meer, hin zu dem Schiff, das unter vollen Segeln lief.
Während der Nebel sich auf Nickos Augen legte, erfüllte ein Gesang seine Ohren, der schöner war, als er es sich jemals hätte vorstellen können. Und mitten in dem Gesang hörte er seinen Namen rufen: »Nicko, Nicko, Nicko ...«
»Snorri?«, fragte Nicko.
»Nicko, wo bist du?«
»Hier. Hier bin ich. Hast du mich gerufen?«
»Nein.« Snorri klang angespannt. »Nicko, wir müssen Anker werfen. Sofort. Es ist gefährlich, die Fahrt fortzusetzen. Wir sehen nicht, wo wir hinfahren.«
Nicko antwortete nicht.
»Nicko ... Nicko ...«, sang die Stimme, erfüllte die Luft mit Freude und sein Herz mit dem wunderbaren Gefühl, endlich nach Hause zu kommen.
»Nicko ... Nicko ... komm zu mir, Nicko«, sang die Stimme so lieblich. Ein sanftes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Es stimmte, er kam wirklich nach Hause. Heim zu dem Ort, wo er hingehörte, zu dem Ort, den er schon sein Leben lang suchte.
Plötzlich wurde er zu seinem Unmut von Snorris eindringlicher Stimme aus seinen Träumen gerissen. »Anker! Lass Anker werfen!«
Er fand, dass Snorri allmählich lästig wurde. Unter ihm waren Schritte zu vernehmen, aber er kümmerte sich nicht darum. Jetzt war nur eines wichtig, der betörende Gesang.
»Land voraus!«, rief der Mann im Ausguck von oben. »Land voraus!«
»Nicko!«, schrie Snorri. »Felsen! Du musst abdrehen! Sofort!«
Nicko antwortete nicht.
Snorri blickte entsetzt zu Nicko und sah, dass seine Augen ins Leere starrten. Als Geisterseherin erkannte sie sofort, dass Nicko unter einem Bann stand. Sie stürzte sich auf ihn und versuchte, ihm das Steuerrad zu entwinden. Nicko stieß sie weg. Er hielt das Steuerrad fest umklammert, und die Cerys segelte weiter.
»Ullr! Ullr, hilf mir!«, rief Snorri. Die grünen Augen des Panthers leuchteten auf. Mit einem Satz war er bei Nicko und riss das Maul auf. »Zieh ihn weg, Ullr. Nein, nicht beißen! Schnell – ich muss ans Steuerrad.« Doch kaum hatte Ullr Nickos
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