Septimus Heap 05 - Syren
schwand seine Wut. Er blieb eine Weile stehen, halb versucht, zu dem beruhigenden Schein des Feuers am Strand und seinen Freunden zurückzukehren. Aber er hatte heute Abend oft genug klein beigegeben, sein Bedarf war gedeckt. Er beschloss, die höchste Düne zu erklimmen und das Schiff von dort zu beobachten. Er würde beweisen, dass er recht hatte – und wenn auch nur sich selbst.
Er kletterte durch die Dünen nach oben und erreichte bald den festeren Boden der mittleren Landzunge. Er blieb stehen und schöpfte Atem. Es war eine schöne Nacht. Der Himmel war klar, und zahllose Sterne funkelten. Das Meer zog sich sanft zurück, gab Sandbänke frei, die im Mondschein glitzerten, und enthüllte für wenige Stunden ein geheimes Muster alter Straßen. Straßen jenes Volkes, das vor langer Zeit auf der Insel gelebt hatte, bevor das Hochwasser kam und eine große Insel in sieben kleinere teilte.
Septimus hielt nach dem Schiff Ausschau, halb in der Erwartung, er habe es sich nur eingebildet. Aber da war es, viel näher jetzt, und seine weißen Segel leuchteten im Mondlicht. Es steuerte direkt auf die Insel zu. Er wollte gerade zum Strand rennen, um es den anderen zu sagen, als er aus dem Augenwinkel zwischen den Bäumen auf der Hügelkuppe eine Reihe blauer Lichter schimmern sah. Er warf sich zu Boden.
Er wagte kaum zu atmen und beobachtete, im Gras verborgen, die Lichter, doch sie kamen nicht den Hang herunter auf ihn zu, wie er eigentlich erwartet hatte, sondern verharrten exakt an derselben Stelle. Schließlich begriff er, was die Lichter waren – die Reihe kleiner Fenster ganz oben im Kieker. Während er so dalag und sich fragte, was sie zu bedeuten hatten, sah er, wie Nebel zwischen den Bäumen unterhalb des Turms hervorquoll und sich den Hang herunter in Richtung Meer wälzte. Er erschauderte. Die Luft um ihn herum fühlte sich plötzlich kalt an, und der Nebel bewegte sich seltsam zielstrebig, als sei er auf dem Weg zu einer Verabredung.
Septimus stand auf. Plötzlich übten das Lagerfeuer und die Freunde eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Er rannte durch die Dünen zurück. Vor ihm breitete sich der Nebel am Ufer entlang aus und begann, sich aufs Wasser zu wälzen, wobei er immer dichter wurde. Der Strand war bereits in Nebel gehüllt, aber die rötliche Glut des Feuers wies ihm den Weg.
Atemlos kam er am Feuer an. Beetle war gerade damit beschäftigt, Holz nachzulegen.
»Hallo, Sep.« Er grinste vor Erleichterung, Septimus zu sehen. »Wir halten es die ganze Nacht in Gang. Dieser Nebel ist uns nicht geheuer.«
* 39 *
39. Nickos Wache
N i cko stand am Steuerrad der Cerys. Es war eine schöne Nacht. Der Mond stieg am Himmel empor, und unzählige Sterne funkelten auf das schmucke, gut getrimmte Schiff herab. Der Wind war ideal, er blies stetig und trieb das Schiff singend durch die Wellen. Glücklich sog Nicko die salzige Luft ein – er hatte so lange vom Meer geträumt und schon befürchtet, er würde es nie Wiedersehen. Er konnte kaum glauben, dass er jetzt wieder in seiner eigenen Zeit war, dass er das schönste Schiff, das er je gesehen hatte, steuerte und auf dem Weg nach Hause war. Er wusste, an diesen Augenblick würde er sich sein ganzes restliches Leben erinnern.
Die zügige Fahrt des Schiffes und die Dünung des tiefblauen Wassers, das hier und da phosphoreszierend leuchtete, vertrieben seine Nervosität und Gereiztheit. Die Cerys reagierte willig, wenn er am Steuerrad drehte, und der Wind füllte optimal ihre Segel. Er hob den Blick in die Takelage und lächelte dann zu Snorri, seiner Navigatorin, hinüber. Sie lehnte an der Reling. Ihr langes blondes Haar wehte im Wind, und ihre grünen Augen funkelten vor Erregung. Neben ihr stand Ullr, schwarz und schlank in seiner Nachtgestalt als Panther. Snorri fühlte Nickos Blick auf sich ruhen, drehte sich um und lächelte.
»Wir haben es geschafft, Snorri. Wir haben es geschafft!« Nicko lachte. »Und schau uns jetzt an!«
»Wir haben Glück gehabt«, sagte Snorri einfach nur. »Großes Glück.«
Es war die erste Nacht, in der Milo Nicko die alleinige Verantwortung für die Cerys übertragen hatte. In der Nacht zuvor hatte der erste Offizier – ein zynischer Mann, in dessen Augen der schlaksige, struppige Nicko Heap viel zu jung war, um das Kommando über die Cerys zu übernehmen – neben ihm gestanden, jede seiner Bewegungen beobachtet, während er das Schiff zuverlässig durch die Wellen steuerte, und auf den kleinsten Fehler
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