Septimus Heap - Fyre
»Ach, das war vielleicht merkwürdig. Eben noch war ich mit dem Geist meiner Mutter in einem engen, dunklen Schrank, und schon im nächsten Moment stand ich auf einem Boot.«
»Auf einem Boot?«
»Ja. Und nicht auf irgendeinem alten Kahn. Das Boot war unglaublich. Lang und schmal, mit einem nach oben geschwungenen, spitzen Ding vorn dran – schon gut, Nicko, einem Bug –, ganz mit Gold verkleidet. Innen im Boot war alles schwarz und glänzte, und hinten war ein großer roter Baldachin gespannt, an dem jede Menge Troddeln hingen. Unter dem Baldachin standen drei Stühle, genau wie die da …« Sie deutete auf die kleinen rot goldenen Stühle, die hinten an der Wand aufgereiht waren.
»Zwei Stühle waren leer, aber auf dem ganz rechts saß eine ältere Dame – eine Königin –, die mich im Drachenhaus angesprochen hatte. Ich freute mich sehr über das Wiedersehen. Es war, als hätte ich dort eine Freundin.
Meine Mutter nahm mich ganz förmlich an der Hand, als wären wir bei einem Ball oder so. Sie führte mich zu den Stühlen, und als wir uns setzten, machte ich eine erstaunliche Entdeckung. Sie war kein Geist mehr – meine Mutter lebte! Ich wusste nicht, was ich sagen sollte – am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte sie umarmt, aber sie saß nur da und lächelte mich an, als wäre ich eine Tante auf Besuch oder so ähnlich. Aber die alte Dame ergriff meine Hand, drückte sie und sagte: ›Hallo, Jenna, mein Liebes. Ich bin deine Großmutter. Ich habe mich sehr auf diesen Augenblick gefreut.‹
Ich muss ziemlich verdattert geguckt haben, denn sie sagte weiter: ›Keine Sorge. Wir haben alle diese Reise gemacht. Auch für mich war es sonderbar.‹ Das war nett, aber meine Mutter sagte noch immer kein Wort, und das ärgerte mich. Ich hatte es immer schade gefunden, dass sie mir zu Hause nie erschienen war, aber seit ich die Königinnenregeln gelesen hatte, wusste ich, dass es dafür einen Grund gab. Aber jetzt bestand eben kein Grund mehr, mir gegenüber so zurückhaltend zu sein. Doch meine Großmutter schien mich zu verstehen. Sie hielt weiter meine Hand und drückte sie fest. Oh, Sep, sie war lieb.
Trotzdem fasste ich einen Entschluss: Wenn meine Mutter weiter so förmlich zu mir wäre, wollte ich mich ihr gegenüber genauso verhalten. Also schlüpfte ich in meine Prinzessinnenrolle, setzte mich auf meinen niedlichen kleinen Stuhl und sah mich um, als würde ich so eine Fahrt jeden Tag unternehmen. Ich versuchte dahinterzukommen, was hier vorging. Als Erstes fiel mir auf, dass es sehr warm war. Am liebsten hätte ich meinen Wintermantel ausgezogen, aber ich nahm mir fest vor, mich nicht zu rühren, bevor meine Mutter es nicht tat. Wir waren eindeutig auf See, ich roch das Salz in der Luft, und das war merkwürdig, denn das Wasser sah überhaupt nicht nach Meer aus. Es war so glatt, als hätte man eine Haut darübergespannt, und glänzte wie ein Spiegel. Aber mehr konnte ich nicht sehen, weil wir von Nebel umhüllt waren, und nur das Boot lag in einem Lichtschein. Das Licht spendeten zwei große Kerzen. Die eine brannte in einer Laterne, die hoch oben am Bug hing, die andere in einer Laterne hinter uns an einem kleineren Bug – schon gut, Nicko, ich weiß, dass es hinten keinen Bug gibt, aber du weißt, was ich meine. Heck? Also schön, dann eben am Heck.
Das Boot wurde von vier Männern gerudert. Zwei standen hinten, zwei vorn. Sie trugen schwarz-goldene Uniformen und lustige rote Hüte, die mich ein bisschen an Mums Gartenhut erinnerten. Sie hatten lange Ruder, die sie irgendwie merkwürdig ins Wasser drehten. Das Boot fuhr sehr ruhig, und ich wusste, dass wir zügig vorankamen, denn durch den Nebel sah ich plötzlich eine helle Flamme ungefähr zwei Meter über dem Wasser. Wir fuhren schnell an ihr vorbei, dann an einer anderen und an noch einer, und da begriff ich, dass wir einer beleuchteten Fahrrinne folgten. Meine Angst legte sich etwas, denn das Boot kam mir wirklich nicht stabil genug vor für eine Fahrt übers Meer, und dass Land in der Nähe sein musste, beruhigte mich.
Bald tauchten einige schöne Gebäude aus dem Nebel auf. Sie waren ein wenig wie der Palast, nur höher und schmäler. Sie reichten bis ans Wasser heran, und die großen, gestreiften Säulen an ihrer Vorderseite glänzten in der Sonne, die jetzt durch den Nebel drang. Die Ruderer steuerten das Boot zwischen rot-goldenen Pfählen hindurch zu einem Landungssteg vor einem großen Bogen. Meine Mutter stand auf, strich
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