Septimus Heap - Fyre
er war nicht gewillt, Marcia sein Wissen preiszugeben.
Der einzige Zugang, von dem sie wusste, war ein schmutziger unterirdischer Wasserlauf namens Unterfluss, und diesen Weg würden sie jetzt auch nehmen. Das alte Alchimieboot war längst vermodert, deshalb ging Marcellus nach nebenan zu Rupert Gringes Bootshaus, um ein Paddelboot zu mieten.
Rupert war gerade damit beschäftigt, die Flotte seiner bunt bemalten Boote, die er im Sommer für Vergnügungsfahrten auf dem Burgkanal vermietete, zu überholen. Der Bootsverleiher war die Schrullen seines Nachbarn gewöhnt, aber dass Marcellus ausgerechnet jetzt, wo der Burgkanal zufror, um ein Paddelboot bat, verblüffte ihn.
» Was wollen Sie?« , fragte er, sich mit der Hand durch die roten Stoppelhaare fahrend.
»Ich würde gern ein Boot mieten«, wiederholte Marcellus.
»Wie? Jetzt? «Rupert sah ihn an, als hätte der Alchimist den Verstand verloren.
»Ja, jetzt.«
»Aber da draußen ist alles vereist.«
»Eis kann man brechen«, erwiderte Marcellus.
»Das wird Sie aber etwas kosten. Ich habe alle Boote eingemottet und muss Ihres, wenn sie es zurückbringen, wieder winterfest machen.«
»Na bestens.« Marcellus reichte ihm eine sehr schwere Goldmünze.
Rupert sah sie an und pfiff durch die Zähne. »Donnerkeil! Auf eine Dreierkrone kann ich nicht herausgeben. Tut mir leid.«
»Sie gehört Ihnen«, sagte Marcellus. »Wenn Sie uns einfach das Boot geben.«
»Wird gemacht. Kein Problem. Bin gleich so weit.«
Kopfschüttelnd sah Rupert Gringe zu, wie die Außergewöhnliche Zauberin, der Burgalchimist und ihr umkämpfter Lehrling sich in das hellrosa Paddelboot quetschten und dann den Burggraben entlangschlingerten, wobei die Außergewöhnliche Zauberin mit einem spitzen Stock die Eisdecke zertrümmerte. Er war froh, dass nicht er zwischen den beiden Umstandskrämern sitzen und die ganze Paddelarbeit machen musste. Im Stillen wünschte er seinem neuen Schwager viel Glück und kehrte in sein warmes Bootshaus zurück.
Der Unterfluss war dunkel und kalt, aber eisfrei. Das Boot passte gerade so durch den schmalen Tunnel, und das Paddelgeräusch hallte, hundertfach verstärkt, von den Backsteinwänden wider und dröhnte ihnen in den Ohren. Marcia saß wie ein großer lila Hund im Bug und leuchtete, nach vorn gebeugt, mit ihrer Zaubertaschenlampe in die niedrige Röhre vor ihnen. Septimus paddelte mit so schnellen und kräftigen Stößen, dass das schmutzige Wasser an die glibberigen Backsteine spritzte und ins Boot tropfte. Zum ersten Mal seit seinem Besuch in den Finsterhallen war er wieder unter der Erde, und es machte ihm mehr Angst, als er erwartet hatte.
Zehn lange Minuten nachdem er das Boot in den Unterfluss gesteuert hatte, verbreiterte sich der Tunnel, und ein schwacher, beißender Rauchgeruch stieg ihm in die Nase. Er paddelte langsamer und lenkte das Boot in eine breite, niedrige Höhle – sie hatten den Unterfluss-See erreicht. Erleichtert legte er das Paddel aus der Hand, setzte sich aufrecht hin und verschnaufte.
Er wusste genau, wo sie waren – er hatte die Höhle vor fünfhundert Jahren schon einmal gesehen. Nur hatte sie damals eine schöne gewölbte Lapislazuli-Decke gehabt. Jetzt war sie dunkel und düster. Er griff wieder zum Paddel und steuerte das Boot zur Anlegestelle. Marcellus lehnte sich hinaus und machte es fest.
Niemand sprach ein Wort. Marcellus war zu bewegt. Und Marcia war überwältigt von dem Umstand, dass sie in eine geheimnisvolle Welt vorstieß – sie betrat jetzt einen Teil der Burg, den sie überhaupt nicht kannte. Allein das war für eine Außergewöhnliche Zauberin schon ein seltsames Gefühl. Aber es wurde dadurch noch verstärkt, dass hier vor langer Zeit etwas Schreckliches geschehen war, das beinahe zur Zerstörung der Burg geführt hätte. Und nun waren sie hier, drei Menschen in einem lächerlichen rosa Paddelboot, die nach fast fünfhundert Jahren als Erste an den Schauplatz der Katastrophe zurückkehrten.
Septimus sprang aus dem Boot. Die Anlegestelle war schlüpfrig, und er rutschte aus. Er fing den Sturz mit den Händen ab, und als er sich wieder aufrichtete, bemerkte er im Schein der Taschenlampe, dass seine Hände ganz schwarz waren.
»Ruß«, erklärte Marcellus grimmig.
Da begriff Septimus, warum hier alles schwarz war. Nun sah er die Höhle mit neuen Augen und schaute sich erschrocken um. »Überall«, flüsterte er.
»Ja«, bestätigte Marcellus ernst. Er hatte ganz vergessen, wie schlimm es war
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