Septimus Heap - Fyre
verflogen waren, dann zückte sie eine Zaubertaschenlampe und leuchtete die Umgebung ab – vielleicht waren Marcellus und Septimus einem absonderlichen alchimistischen Unfall zum Opfer gefallen oder wegen giftiger Dämpfe ohnmächtig geworden und lagen hier irgendwo. Zwar hatte sie keine rechte Vorstellung davon, wie es nach einem alchimistischen Unfall aussah, aber sie war sich sicher, dass sie es erkennen würde, wenn sie die Folgen eines solchen Unfalls vor sich hätte. Bald hatte sie jedoch festgestellt, dass kein Unglück geschehen und die Kammer verlassen war. Sie eilte hinüber ins Labyrinth. Das Klappern ihrer Python-Schuhe hallte durch die gewundenen blauen Gänge.
Marcia wusste, dass vom Labyrinth weitere Gänge abgingen, doch dort war sie noch nie gewesen, und so beschloss sie, zuerst die zu erkunden, die sie kannte. Ebenso wusste sie, wie Labyrinthe angelegt wurden – in ihrer Kindheit war das ein Hobby von ihr gewesen –, daher hatte sie keine Mühe, den Weg zum Alchimie-Kai zu finden. Sie tauchte aus dem linken Torbogen auf, blieb kurz stehen und ließ den Blick über den verlassenen Kai wandern. Schon beschlich sie der Verdacht, Marcellus und Septimus könnten eine Dummheit begangen haben und beispielsweise durchgebrannt sein, als sie hinter der Kai-Kante eine Bewegung bemerkte und etwas Farbiges aufblitzen sah – es war das rosa Paddelboot, das sanft auf dem Wasser schaukelte.
Sie lief hin und blickte auf das Boot hinab – mit seiner plumpen, kindischen Form und seinem leuchtenden Rosa wirkte es im tiefen dunklen Wasser des Unterfluss-Sees völlig fehl am Platz.
»Dann sind sie also doch hier«, sagte sie sich. Aus dem Wurm der Sorge, der an ihr nagte, seit Septimus nicht zum Einstandsessen erschienen war, wurde eine dicke Schlange der Angst. Hier stimmte etwas nicht. Sie wusste es.Sie spähte in das unergründliche schwarze Wasser, und ein schrecklicher Gedanke kam ihr. Septimus war irgendwo da unten in der Tiefe. Sie stöhnte auf und setzte sich zitternd auf die Kaistufen.
Sie waren ins Wasser gefallen und ertrunken. Das erklärte alles.
Wahrscheinlich hatte Marcellus in seinen lächerlichen Schuhen den Halt verloren, der liebe, tapfere Septimus war ihm nachgesprungen, um ihn zu retten, und Marcellus hatte sich mit seinen langen, knochigen Fingern an ihn gekrallt und ihn mit in die Tiefe gezogen. Marcia unterdrückte einen Seufzer und starrte minutenlang ins Wasser.
Als sie sich ein wenig beruhigt hatte, begann sie, von Natur aus ein optimistischer Mensch, sich zu fragen, ob es nicht vielleicht eine andere Erklärung geben könnte. Sie stand wieder auf, ging auf dem Kai auf und ab und versuchte, ihre Angst zu bezähmen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Es gab andere Möglichkeiten: Sie konnten irgendwo eingeschlossen sein oder sich womöglich in einem der alten Tunnel, die vom Labyrinth abgingen, verirrt haben. Das Vernünftigste war, sie kehrte in den Zaubererturm zurück und leitete im Such- und Rettungszentrum eine Suche ein. Sie ging an der Kaimauer entlang, aber ihre lila Pythons klapperten nicht so forsch wie sonst.
Etwas in ihrem Innern sträubte sich zu gehen, und das wunderte sie, denn der Alchimie-Kai war ihr unheimlich. Und dann begriff sie, warum sie nicht gehen wollte. Sie wollte nicht gehen, weil sie spürte, dass Septimus hier war. Und das bedeutete, dass er noch am Leben war.
Zu spüren, dass jemand, den man liebt, in der Nähe ist (und das funktioniert nur, wenn man ihn wirklich liebt), ist eine Kunst, die leicht zu erlernen ist, wenn man einen guten Lehrer hat, und Marcia hatte in Alther Mella einen der besten gehabt. Aber es handelte sich um eine flüchtige Kunst, wie Alther sie nannte. Und das bedeutete: Je länger man nachdachte, desto unsicherer wurde man. Sobald sich Marcia also bewusst wurde, dass sie Septimus’ Nähe spürte, war das Gefühl verschwunden. Und sofort fragte sie sich, ob sie überhaupt etwas gespürt hatte.
»Sei nicht albern, Marcia«, sagte sie zu sich selbst. »Du hast es gespürt. Das weißt du.«
Sie beschloss, die beiden anderen Torbögen zu untersuchen, obwohl sie wusste, dass beide zugemauert waren. Sie ging zu der verrußten Mauer und leuchtete mit der Taschenlampe den mittleren Torbogen ab. Sich daran erinnernd, was sie einmal über Alchimistenmörtel gelesen hatte, drückte sie versuchsweise gegen das Mauerwerk. Es war fest und – igitt – noch rußverschmiert. Marcia wischte sich mit dem Taschentuch die Hand ab und ging,
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