Septimus Heap - Fyre
den Palast. Gegen zwei hatte Sarah Heap nichts einzuwenden: Matt und Marcus Marwick, Wolfsjunges Brüder, waren in ihren Augen »nette junge Männer«. Weit weniger angetan war sie dagegen von »dieser frechen jungen Hexe Marissa«.
»Aber Mum«, protestierte Jo-Jo, »Marissa hat beide Hexenzirkel verlassen.«
»Beide?«, fragteSarah entsetzt. »Soll das heißen, sie ist auch im Porter Hexenzirkel?«
»Nein, Mum«, beharrte Jo-Jo. »Wie ich dir bereits gesagt habe. Sie ist in keinem mehr.«
»Einmal Hexe, immer Hexe«, erklärte Sarah. »Und in mein Haus setzt keine Hexe ihren Fuß.«
Jenna rief Sarah in Erinnerung, dass der Palast jetzt ihr Haus war und nur sie darüber entschied, wer im Palast willkommen sei. Sie hatte Marissa schätzen gelernt, seit ihr die junge Hexe zur Flucht vor dem Porter Hexenzirkel verholfen hatte. Und um zu zeigen, wie ernst es ihr war, lud sie Marissa noch für den Abend ein. Jo-Jo war begeistert. Sarah nicht.
Ein andermal traf Jenna Sarah in einer der nicht mehr genutzten Küchen dabei an, wie sie Lucy einen Stapel Kochtöpfe auflud. »Die Sachen brauchen wir nicht mehr«, sagte Sarah zu Jenna, die gekommen war, um nach dem Grund für das Geklapper zu sehen. Das erboste Jenna. Sie hatte nicht das Geringste dagegen, dass Lucy und Simon Dinge aus dem Palast bekamen, aber sie fand, dass Sarah sie vorher hätte fragen sollen.
Während Sarah es fertigbrachte, Jenna mit hundert Kleinigkeiten zu ärgern, hatte wiederum Milo Banda auf Sarah dieselbe Wirkung. »Er zieht durch den Palast wie ein übler Geruch«, beklagte sich Sarah eines Nachmittags bei Silas, nachdem sie Milo schon zum fünften Mal an diesem Tag auf dem schlecht beleuchteten Langgang begegnet war. »Und immer trägt er irgendwelchen Plunder bei sich, eingewickelt in ein Tuch. Und wenn ich ihn danach frage, grinst er nur und macht Pst! , was soll das, Silas?«
»Frag mich nicht«, antwortete Silas. »Der Mann ist völlig übergeschnappt.«
Sarah seufzte. »Ich weiß, ich sollte nicht klagen. Aber er ist Jennas Vater – ach, Silas, guck nicht so beleidigt –, und das hier ist sein Zuhause. Aber gewöhnlich ist er einen Tag hier und am nächsten wieder fort.«
»Je eher er verschwindet, desto besser, wenn du mich fragst«, sagte Silas. »Er bringt Jenna nur durcheinander.«
Silas hatte recht. Milos Gegenwart brachte Jenna durcheinander. Ein paar Tage nach diesem Gespräch, an dem Morgen, als Septimus seinen Flug-Charm wiederbekam, lehnte Jenna an der Balustrade der Galerie, die oben um die Eingangshalle herumlief. Sie war in den Anblick der Muster versunken, die das schneehelle Licht durch die Fenster warf, als sie Milo die Halle durchqueren sah. Seine glänzenden schwarzen Lederstiefel klapperten über den Steinboden, und sein rot-goldener Mantel bauschte sich hinter ihm, während er zu irgendeinem weiteren »Geschäft« aus dem Palast eilte.
Plötzlich hatte Jenna ein ganz merkwürdiges Gefühl. Ihr war, als wäre sie in das Leben versetzt worden, das sie geführt hätte, wenn ihre Mutter, Königin Cerys, nicht durch die Kugel eines Mörders gestorben wäre. Alles wirkte so echt, dass ihr ganz sonderbar zumute wurde.
In der Was-hätte-sein-können-Welt war Jenna die älteste Tochter – die Kronprinzessin(nur dass sie nicht Jenna hieß, sondern einen längeren, altmodischen Namen hatte). Sie hatte zwei jüngere Schwestern und einen Bruder, die alle dunkle Haare und veilchenblaue Augen hatten und Zauberei eher merkwürdig fanden, genau wie sie. Ihre beiden Schwestern hatten große Ähnlichkeit mit ihr, und ihr kleiner Bruder sah aus wie ein junger Marcellus.
Der Was-hätte-sein-können-Palast war ein belebter Ort, der Mittelpunkt des Burglebens, in dem ein ständiges Kommen und Gehen herrschte, und irgendwo ganz in der Nähe – wahrscheinlich im Thronsaal – führte Jennas Mutter die Regierungsgeschäfte. Tatsächlich wartete sie jedoch darauf, dass ihre Tochter zu ihr kam und den Vormittag damit zubrachte, ihr zu helfen und dabei zu lernen, worin die Pflichten einer Königin bestanden. Alles war so, wie es sein sollte, und in diesem Augenblick schien es Jenna, als wäre ihr ganzes bisheriges Leben nur ein langer und komplizierter Traum gewesen, aus dem sie eben erst herausgetreten wäre.
Jenna war so gefangen in dem Gefühl, was hätte sein können, dass sie Milo, als er zu ihr heraufsah und lächelte, eine Kusshand zuwarf. Milo blieb wie vor den Kopf gestoßen stehen, und dann sah sie, wie ein verwundertes,
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