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Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Titel: Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hartman
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degradiert. Ich kam zwar auf dem Festland zur Welt, aber als kleines Kind bin ich oft auf hoher See gewesen. Auf ihre letzte Reise haben sie mich nicht mitgenommen: Am Tag, bevor sie vom Hafen in Asado in Ninys Segel setzen wollten, trafen sie Dame Okra Carmine, die sie überredete, mich nach Goredd zu meiner Großmutter zu schicken.«
    Ich hatte auf Dame Okras angebliche Fähigkeit, die unmittelbare Zukunft vorauszusehen, nicht allzu viel gegeben. Es schien, als hätte ich mich getäuscht.
    Er starrte zu den Wolken hinauf. »Sie sind in einem fürchterlichen Unwetter untergegangen. Ich war fünf Jahre alt und war froh, dass ich noch lebte, fühlte mich aber wie ein Schiffbrüchiger. Ich verstand in Goredd ja nicht einmal die Sprache. Meine Großmutter war anfangs sehr zurückhaltend, Tante Dionne hingegen hasste mich von Anfang an.«
    »Das Kind ihrer eigenen Schwester?«, rief ich entrüstet.
    Er zuckte die Schultern; sein Umhang flatterte im Wind. »Allein dass es mich gab, war eine Beleidigung. Was sollten sie anfangen mit einem Kind, das ungerufen in ihr Leben platzte, einem Jungen mit selbst für einen Samsamesen ungehobelten Manieren – und einem schändlichen Nachnamen, der sofort seine Herkunft preisgab.«
    »Ist Kiggs ein samsamesischer Name?«
    Er verzog das Gesicht. »Ich heiße nicht Kiggs, sondern Kiggenstane. Scharfer Stein . Irgendjemand in meinem Stammbaum muss ein Steinhauer gewesen sein. Mit der Zeit gewöhnten sie sich an mich. Ich bewies ihnen, dass ich für das eine oder andere sehr wohl taugte. Onkel Rufus, der viele Jahre am Hof von Samsam verbracht hatte, räumte mir viele Hindernisse aus dem Weg.«
    »Ihr wart so traurig, als Ihr heute Morgen für ihn gebetet habt«, sprudelte es aus mir hervor.
    Seine Augen glitzerten im Dämmerlicht, sein Atem verwandelte sich zu Wölkchen in der kalten Luft. »Er hinterlässt eine Lücke auf dieser Welt, die nicht zu schließen ist, ja. Nur der Tod meiner Mutter war genauso schmerzhaft für mich. Du ahnst vielleicht, worauf ich hinauswill und warum ich dir das schon immer sagen wollte … weil ich fühle, dass du mich verstehst.«
    Ich hielt den Atem an. Um uns herum fiel leise der Schnee. »Ich habe so widerstreitende Gefühle, wenn ich an sie denke. Auf der einen Seite liebte ich sie, sie war ja meine Mutter, aber manchmal … manchmal bin ich wütend auf sie.«
    »Warum?«, fragte ich, obwohl ich es längst wusste. Mir ging es ganz genauso. Ich konnte kaum glauben, dass er es laut aussprach.
    »Ich bin wütend auf sie, weil sie mich verlassen hat, als ich noch so jung war – vielleicht ging es dir mit deiner Mutter ähnlich. Aber, das muss ich zu meiner Schande gestehen, ich bin auch wütend auf sie, weil sie sich so unbesonnen verliebt hat.«
    »Ich weiß«, flüsterte ich in die eiskalte Luft. Ich hoffte und fürchtete zugleich, dass er mich hören würde.
    »Was für ein Schurke muss das sein, der seiner Mutter die Liebe ihres Lebens nicht gönnt?« Er lachte bitter, aber seine Augen waren voller Trauer.
    Ich hätte meine Hand ausstrecken und ihn berühren können. Ich wollte es auch. Ich nahm die Zügel fester und starrte stur auf die Straße.
    »Ihr seid kein Schurke«, widersprach ich. Andernfalls wären wir zwei von dieser Sorte.
    »Hm. Ich denke doch«, sagte er einfach. Dann schwieg er. Eine Zeitlang war nur das Knirschen des Schnees unter den Hufen und das Knarren des Sattelleders zu hören. Ich riskierte einen Seitenblick.
    Seine Wangen waren von der kalten Luft gerötet, er blies in seine Hände, um sie zu wärmen. Er sah mich an. Seine Augen waren unergründlich und kummervoll.
    »Ich habe sie nicht verstanden«, sagte er leise. »Ich habe sie verurteilt, ohne sie zu verstehen.«
    Er wandte den Blick ab, versuchte zu lächeln, beendete den seltsamen, unverhofften Moment. »Ich werde mich garantiert nicht von einer solchen Leidenschaft überrumpeln lassen. Ich bin auf der Hut.«
    »Und außerdem seid Ihr ja verlobt«, sagte ich betont munter, aus Angst, er könnte mein wild pochendes Herz hören. Denn das tat es gerade mit aller Macht.
    »Ja, so ist man gut gegen das Unvorhergesehene gewappnet«, sagte er mit bebender Stimme. »Damit, und mit dem Glauben. Sankt Clare hält mich auf dem rechten Pfad.«
    Natürlich tat sie das. Schönen Dank, Sankt Clare .
    Schweigend ritten wir weiter. Ich schloss die Augen. Der Schnee blies mir ins Gesicht und stach wie Sand. Einen Moment lang träumte ich, mich würden keine Drachenschuppen und keine

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