Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
die sich bot auf.
Ich war tatsächlich erschöpft, obwohl es noch nicht einmal fünf Uhr war. Müde schleppte ich mich in mein Zimmer und sank auf einen Stuhl. Meine Tasche ließ ich zwischen meinen Füßen auf den Boden fallen.
Ich konnte nicht länger so nahe bei Kiggs leben, wenn es immer so weh tat wie jetzt. Ich beschloss, die Friedensfestlichkeiten abzuwarten, danach würde ich Viridius meine Kündigung schicken. Vielleicht nicht einmal das. Ich würde einfach verschwinden, weglaufen nach Blystane oder Porphyrien oder nach Segosh, eine der großen Städte, wo ich mich unter die Menschen mischen könnte und mich niemand aufspürte.
Mein linkes Handgelenk juckte unter dem Verband. Die Versuchung war zu groß. Ich würde nur rasch einen Blick auf die Wunde werfen, redete ich mir ein. Nachsehen, ob es heilte. Ich begann, den Verband zu lösen, zog mit den Zähnen daran, wenn es schwer ging.
Dort, wo die Schuppe fehlte, hatte sich ein verkrusteter Schorf gebildet; er sah hässlich aus zwischen den glatten silbernen Schuppen. Ich fuhr mit dem Finger darüber, es fühlte sich rau und wund an. Im Vergleich zu der dicken schwarzen Kruste waren die Schuppen fast schön. Das war typisch für mich: aus einer angeborenen Scheußlichkeit etwas noch Scheußlicheres zu machen. Ich hasste diesen Schorf. Ich fing an, ihn an einer Ecke aufzukratzen, aber dann musste ich wegschauen. Ich biss die Zähne zusammen und krümmte mich vor Abscheu.
Ich hörte nicht auf, bis ich wieder ein Loch gerissen hatte.
Dabei musste ich wohl mit den Füßen an meine Tasche gestoßen sein, denn sie kippte zur Seite und öffnete sich. Der Brief und die lange, schmale Schachtel fielen heraus, die mir meine Schwestern heute Morgen – wie endlos lange war das her – im Auftrag meines Vaters gegeben hatten. Ich ließ von meinem Handgelenk ab und hob die Schachtel auf. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Das Behältnis hatte die richtige Größe und die richtige Form für ein ganz bestimmtes Musikinstrument. Ich fürchtete mich fast ein wenig vor der Enttäuschung, falls ich mich irrte. Deshalb nahm ich zuerst den Brief und faltete ihn auseinander.
Meine Tochter,
ich vermute, Du wirst Dich nicht sehr gut an unsere Unterhaltung in der vergangenen Nacht erinnern, was nicht weiter schlimm ist. Ich fürchte, ich habe wie ein Narr gesprochen. Aber etwas bin ich Dir schuldig: Deine Mutter besaß mehr als nur eine Flöte, sonst hätte ich es nie ertragen, die andere zerbrochen zu haben. Mir tut es immer noch leid, nicht zuletzt deshalb, weil mich Dein anklagender Blick bis heute verfolgt. Das Ungeheuer in unserem Haus war ich, nicht Du.
Komme was wolle, ich habe meinen Frieden mit der Vergangenheit und mit der Zukunft geschlossen. Tu das, was Du meinst tun zu müssen, und habe keine Furcht.
Ich liebe Dich von ganzem Herzen,
in guten und in schlechten Zeiten,
Papa
Mit zittrigen Händen öffnete ich die Holzschachtel und schlug das safrangelbe Innentuch zur Seite. Beim Anblick der herrlichen Flöte aus poliertem Ebenholz mit Intarsien aus Silber und Perlmutt verschlug es mir den Atem. Ich wusste sofort, dass es ihre Flöte gewesen war.
Ich setzte sie an die Lippen und spielte eine Tonleiter. Der Klang war zart und schmelzend. Trotz meiner beiden schmerzenden Handgelenke ließ ich die Finger über die Flöte gleiten. Ich nahm das weiche safranfarbene Tuch und wickelte es um mein verletztes linkes Handgelenk. Es war ein Geschenk meiner beiden Eltern und würde mich von nun an daran erinnern, dass ich nicht allein war. Und vielleicht würde es mich auch vor mir selbst schützen.
Gestärkt und getröstet stand ich auf und ging zur Tür. Es war noch viel Arbeit zu tun, und ich war die Einzige, die sie verrichten konnte.
Comonot war bedeutend genug, dass man ihm eine Suite in dem Flügel zugewiesen hatte, in dem die königliche Familie wohnte. Es war der prächtigste und bestbewachte Teil des ganzen Schlosses. Als ich mich dem Posten näherte, drehte sich mir vor Angst fast der Magen um. Ich hatte keinen festen Plan gefasst, wie ich die Wachen diesmal täuschen wollte, ich hatte mir keine Lüge ausgedacht, die ich ihnen auftischen konnte. Ich würde einfach um die Erlaubnis bitten, den Ardmagar zu besuchen, und abwarten, was geschehen würde.
Als ich sah, dass ausgerechnet Mikey der Fisch den Zugang bewachte, hätte ich am liebsten den Rückzug angetreten, aber dann berührte ich mein safrangelbes Tuch am Handgelenk, hob selbstbewusst den Kopf und ging
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