Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
unvorbereitet. Ich sah ihm an, dass er fieberhaft darüber nachdachte, wo seine Großmutter, seine Tante und seine Cousine abgeblieben waren, und dann zu dem bestürzenden Schluss kam, dass er von allen dreien nicht wusste, wo sie sich aufhielten.
»Wo Euer Tantchen ist, wisst Ihr jedenfalls nicht«, sagte Comonot mit einem unangenehmen Grinsen. Kiggs und ich starrten ihn entsetzt an.
»Was wollt Ihr damit sagen, Ardmagar?«, fragte Kiggs mit bebender Stimme.
»Nur, dass Ihr nicht so wachsam seid, wie Ihr denkt«, sagte Comonot. »Und dass –« Er brach abrupt ab und wurde aschfahl. »Bei allen gehorteten Schätzen! Ich bin genauso dumm wie Ihr.«
Er rannte los. Kiggs und ich folgten ihm auf den Fersen. Kiggs rief: »Wo wollt Ihr hin?«
Der Ardmagar lief die große Marmortreppe hinauf. Er nahm zwei Stufen auf einmal. »Wem lauerte der Mörder in der Kathedrale wohl auf, ehe er sich auf Serafina stürzte, wenn nicht mir oder der Frau, mit der ich mich dort heimlich treffen wollte?«, stieß er hervor.
»Meint ihr Tante Dionne?«, rief Kiggs schockiert. »Ardmagar, wo ist sie jetzt?«
»In meinen Gemächern«, sagte Comonot keuchend.
Kiggs rannte an ihm vorbei die Treppe hinauf in den Flügel des Palasts, in dem die königliche Familie wohnte.
Zweiunddreißig
C omonot und ich kamen fast gleichzeitig in seinen Räumen an; Kiggs war schon vor uns da, er hatte auf dem Weg dorthin noch zwei Wachsoldaten mitgenommen. Wir betraten die Zimmer gerade in dem Moment, als einer der Gardisten wieder nach draußen rannte, und mir war sofort klar, warum: Kiggs hatte ihn nach einem Arzt geschickt.
Kiggs und der andere Mann halfen Prinzessin Dionne, vom Fußboden aufzustehen, und versuchten, sie in einer halbwegs aufrechten Stellung aufs Sofa zu setzen. Kiggs steckte ihr zwei Finger in den Hals, damit sie sich übergeben konnte. Den Gefallen tat sie ihm auch und erbrach eine klebrige rote Masse in einen Helm, den ihr der Wachmann hinhielt, sah danach aber auch nicht viel besser aus.
Sie war grün angelaufen, in ihren Augen sah man beunruhigend viel Weiß und sie schien nicht klar zu sehen. »Apsig! Wein!«, keuchte sie. Der Gardist missverstand das als Befehl und füllte ihr Glas auf dem Tisch nach. Kiggs schlug es ihm aus der Hand und es zerschellte am Boden.
»Der Wein hat sie krank gemacht«, stieß Kiggs zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er hatte Mühe, seine Tante, die sich in Krämpfen wand, auf dem Sofa zu halten. Comonot kam ihm zu Hilfe. »Seit wann habt Ihr diese Flasche, Ardmagar?«
»Es ist nicht meine. Die Prinzessin muss sie mitgebracht haben.« Er riss die Augen auf. »Wollte sie mich etwa vergiften?«
»Seid nicht so dumm«, sagte Kiggs, dessen Wut über seine Manieren siegte. »Dann hätte sie den Wein doch nicht selbst getrunken.«
»Vielleicht hat sie Gewissensbisse bekommen.«
»So funktioniert das nicht, du blöder Drache!«, schrie Kiggs mit überschnappender Stimme. Er wischte seiner Tante den Schaum von den Lippen. »Warum wollte sie Euch hier treffen? Warum hat sie Wein mitgebracht? Glaubt Ihr, Ihr könnt so einfach nach Goredd kommen und Mensch spielen, ohne Ahnung davon zu haben?«
»Kiggs«, sagte ich beschwichtigend und berührte ihn sanft am Arm, doch er schüttelte meine Hand ab.
Comonot hatte sich an die Rückseite des Sofas gelehnt und machte einen verwirrten Eindruck. »Ich habe keine Ahnung, genau. Aber da ist ein Gefühl, ich weiß nur nicht, was für eines.« Er sah mich flehend an, aber was sollte ich ihm schon sagen?
Der Arzt kam in Begleitung von drei Kammerzofen. Ich half ihnen, Dionne ins Bett zu tragen, wo sie ihr die Kleider auszogen, sie wuschen und zur Ader ließen. Dann verabreichten sie ihr Kohlepulver und untersuchten den Wein und das Erbrochene auf Hinweise, welches Gegengift anzuwenden wäre. Comonot, der keinerlei Scham verspürte, sie nackt zu sehen, kam ungefragt herein und sah zu. Kiggs ging im Vorzimmer auf und ab.
Plötzlich überfiel mich eine entsetzliche Ahnung. Ich drehte mich um und wollte hinauslaufen, aber Comonot hielt mich zurück. »Hilf mir«, bat er, »ich fühle etwas …«
»Das ist Schuld«, fauchte ich ihn an und riss mich los.
»Mach, dass sie weggeht!« In seinem Gesicht stand das blanke Entsetzen.
»Das kann ich nicht.« Mehr sagte ich nicht, denn meine Aufmerksamkeit galt Dionne, die erneut Krämpfe bekommen hatte. Ein bisschen tat mir der dumme, alte Saar allerdings schon leid. Im Angesicht des Todes waren alle, Drache wie
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