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Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)

Titel: Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hartman
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widerstrebte mir, ihn wegzusperren, aber ich sah keine andere Möglichkeit. Die Visionen waren gefährlich, ich konnte mir den Kopf verletzen, ersticken, mich verraten. Davor musste ich mich schützen, so gut ich konnte.
    Er öffnete eines seiner Augen, dann drückte er es ganz schnell wieder zu. Er schlief gar nicht, dieser Gauner. Er tat nur so. » Flederchen «, sagte ich und gab mir Mühe, ernst und entschlossen zu klingen. »Komm bitte runter.«
    Er kletterte vom Baum, mied jedoch tunlichst meinen Blick. Dann bückte er sich, nahm eine Handvoll Datteln von einem der sorgfältig aufgeschichteten Stapel und bot mir eine an. Diesmal nahm ich sein Geschenk entgegen, aber ich achtete darauf, seine Hand nicht zu berühren. »Ich weiß nicht, was du gemacht hast«, sagte ich langsam. »Ich weiß nicht, ob es Absicht war, aber du … du hast mich in eine Vision hineingezogen.«
    Jetzt sah er mich an. Die Leidenschaft in seinen schwarzen Augen erschreckte mich, Arglist konnte ich jedoch nicht darin erkennen. Ich nahm meinen Mut zusammen und sagte: »Was immer du getan hast, hör bitte damit auf. Wenn ich gegen meinen Willen eine Vision habe, verliere ich das Bewusstsein. Das ist gefährlich für mich. Bitte, tu es nie wieder, oder ich muss dich wegsperren.«
    Er riss die Augen auf und schüttelte heftig den Kopf. Ich konnte nur hoffen, dass er dagegen protestierte, dass ich ihn ausschloss, und nicht weil er sich weigerte, meinem Wunsch nachzukommen.
    Flederchen kletterte auf seinen Feigenbaum zurück. »Gute Nacht«, sagte ich freundlich. Hoffentlich spürte er, dass ich nicht wütend auf ihn war. Er schlang die Arme um sich und legte sich sofort schlafen.
    Ich hingegen musste mich auch noch um den Rest des Gartens kümmern. Müde und innerlich zerschlagen machte ich mich auf den Weg, obwohl es mir widerstrebte. Was, wenn ich nur dieses eine Mal meine Routine verkürzte? Alles lag friedlich da. Das sattgrüne Blattwerk sah schön aus in dem bunten Schnee, der vom Himmel fiel.
    Bunter Schnee?
    Ich blickte nach oben. Wolken türmten sich über mir auf und aus ihnen schneiten Tausende merkwürdiger Flocken, rosa, grün, gelb, eher Konfetti als Schnee. Ich streckte die Hände nach ihnen aus. Die Flocken über mir schimmerten wie nicht von dieser Welt. Langsam drehte ich mich im Kreis und wirbelte bunte Schauer zu meinen Füßen auf.
    Ich fing eine Flocke mit der Zunge. Es knisterte in meinem Mund wie von einem Blitzgewitter, und einen Herzschlag lang hallte mein Schrei durch den Himmel und jagte einem Auerochsen nach.
    Die Flocke schmolz – und ich befand mich wieder mit klopfendem Herzen in meinem Garten. Während dieses Augenblicks tiefster Empfindungen war ich jemand anderes gewesen. Ich hatte die ganze Welt unter mir gesehen, unfassbar genau: jeden Grashalm auf den weiten Wiesen, jedes Härchen auf der Schnauze des Auerochsen, ich hatte gefühlt, wie warm die Erde unter seinen Hufen war, selbst den kleinsten Lufthauch hatte ich gespürt.
    Ich fing eine zweite Flocke mit der Zunge auf und schon lag ich auf einem Berggipfel in der Sonne. Meine Schuppen schimmerten, mein Mund schmeckte nach Asche. Ich reckte den geschwungenen Hals.
    Und dann war ich wieder im Hain des Fledermausjungen, blinzelnd, stammelnd, durcheinander. Es waren Erinnerungen meiner Mutter gewesen, so wie damals, als ich Orma zum ersten Mal in seiner natürlichen Gestalt gesehen hatte. Seit damals wusste ich auch, dass meine Mutter mir noch andere Erinnerungen hinterlassen wollte. Anscheinend war ihr das gelungen.
    Aber warum passierte es gerade jetzt? Hatten die Anstrengungen der letzten Tage dies ausgelöst? Hatte Flederchen sie für mich heraufbeschworen?
    Der Niederschlag ließ nach. Einzelne Flocken am Boden verschmolzen und verbanden sich wie Quecksilbertröpfchen. Dann wurden sie zu Pergamentschnipseln und der Wind blies sie umher.
    Ich konnte es nicht zulassen, dass die Erinnerungen meiner Mutter überall herumgeweht wurden. Ich sammelte die Pergamentschnipsel ein, trat darauf, hielt sie mit den Füßen fest, als der Wind sie an mir vorbeitreiben wollte, und jagte ihnen durch den Pfannkuchensumpf und über die Drei Dünen hinterher.
    Ich brauchte etwas, worin ich die Schnipsel aufbewahren konnte. Plötzlich war da eine Blechschatulle. Ich öffnete sie, und ganz ohne mein Zutun, wie bei einem Zauberkartentrick flogen die Schnipsel aus meiner Hand und trudelten in die Schachtel hinein. Danach schnappte der Deckel wieder zu.
    Es war so einfach

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