Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
garantiert nicht werden. »Die Krähen haben alles, was älter ist, schon aufgefressen«, sagte ich matt.
Über seinem Mantelkragen waren nur seine Augen zu sehen, aber ich merkte, dass er schmunzelte, weil ich mich so zimperlich anstellte. »Oder der Regen hat es weggespült. Wie dem auch sei, wir können nicht beweisen, dass die Krähen nur deshalb hier sind, weil ein Drache gelegentlich diesen Ort aufsucht.«
»Das brauchen wir auch nicht. Kürzlich ist ein Drache hier gewesen, so viel steht fest.«
Kiggs kniff die Augen zusammen und dachte nach. »Nehmen wir mal an, die Krähen haben sich merkwürdig verhalten. Mein Onkel ist hergekommen, um nachzusehen. Dann traf er zufällig auf einen Drachen. Der tötete ihn und brachte den kopflosen Leichnam im Schutze der Dunkelheit ins Sumpfland.«
»Warum sollte er den Leichnam fortschaffen?«, überlegte ich laut. »Er musste doch nur alles auffressen, was ihn hätte überführen können?«
»Weil die Garde dann weiter nach Onkel Rufus gesucht hätte. Irgendwann wären sie bis hierher vorgedrungen und hätten den unzweifelhaften Beweis für die Anwesenheit eines Drachen gefunden.« Kiggs sah mich an. »Aber wieso hat er dann den Kopf gefressen?«
»Es ist schwierig für einen Drachen, es so aussehen zu lassen, als hätte jemand anderes den Mord begangen. Der fehlende Kopf allein beweist noch gar nichts. Vielleicht wusste er ja, dass man die Söhne von Sankt Ogdo dafür verantwortlich machen würde«, sagte ich. »Das habt Ihr doch auch getan, nicht wahr?«
Er schüttelte skeptisch den Kopf. »Aber warum hat er sich den Rittern zu erkennen gegeben? Er hätte doch wissen müssen, dass wir beide Vorfälle miteinander in Verbindung bringen!«
»Vielleicht dachte er, dass die Ritter es nicht riskieren würden, gefangen genommen zu werden, wenn sie der Königin Bericht erstatteten. Oder er ging davon aus, dass die Königin die Geschichte niemals glauben würde – was ja auch der Fall war, nicht wahr?« Ich zögerte, denn ich war drauf und dran, ihm etwas sehr Persönliches preiszugeben, aber dann fügte ich doch hinzu: »Manchmal hat es die Wahrheit schwer, die Wälle unserer Vorurteile zu überwinden. Eine Lüge, im richtigen Gewand, hat es da viel leichter.«
Aber er hatte mir gar nicht zugehört; er starrte auf etwas, das auch das Interesse der Krähen auf sich zog. »Was ist das?«
»Eine tote Kuh?«, sagte ich zögernd.
»Halte mein Pferd.« Er gab mir die Zügel, saß ab und kletterte in die stinkende Grube, ehe ich ihn aufhalten konnte. Die Krähen stiegen kreischend auf und verdeckten mir die Sicht auf ihn. Hätte er seine Uniform getragen, wäre das Purpurrot zwischen all den vielen schwarzen Vogelleibern auszumachen gewesen, so jedoch konnte man ihn auch für einen moosbewachsenen Felsen halten.
Die Krähen flatterten durch die Luft, krächzten verärgert und verzogen sich auf die Bäume. Kiggs, der seine Arme schützend um den Kopf gelegt hatte, war beinahe auf dem Grund der Grube angekommen.
Mein Pferd tänzelte nervös hin und her. Kiggs’ Pferd zerrte an den Zügeln und wieherte. Die Krähen waren jetzt verschwunden und im Gelände und in der Grube war es gespenstisch still. Mir gefiel das nicht. Ich überlegte, ob ich Kiggs rufen sollte, aber sein Pferd zog so heftig am Zügel, dass ich genug damit zu tun hatte, nicht von meiner Stute herunterzufallen.
Immer noch fiel kalter Nieselregen, und jetzt sah ich nördlich von uns eine Dampfwolke aus dem Niederwald aufsteigen. Vielleicht war es Nebel, die Berge im Norden hießen nicht umsonst Mutter der Nebelschwaden . Aber dieser Nebel schien von einer ganz bestimmten Stelle aufzusteigen. Es sah aus, als fiele der kalte Regen auf einen warmen Untergrund.
Ich legte die Hand aufs Herz, dorthin, wo sich Ormas Ohrring befand, zog ihn jedoch nicht hervor. Orma würde viel Ärger bekommen, wenn er sich meinetwegen verwandelte, ich konnte es mir nicht leisten, ihn zu rufen, solange ich meiner Sache nicht völlig sicher war.
Der Nebel breitete sich aus – oder die Quelle, die den Nebel hervorbrachte, bewegte sich. Welche Beweise brauchte ich noch? Es würde einige Zeit dauern, bis Orma hier war. Nachdem er sich verwandelt hatte, würde er einige Minuten lang nicht fliegen können, und wir waren Meilen von ihm entfernt. Die Nebelschwaden bewegten sich nach Westen, dann zogen sie in unsere Richtung. Kein Laut war zu hören. Ich lauschte auf das verräterische Rascheln von Ästen, auf Schritte, auf den feurigen
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