Serafinas später Sieg
Teil der Aktion gewesen, der schwierige war, das Seil um den leblosen Körper zu binden, während er diesen und sich selbst über Wasser halten mußte. Es dauerte endlose Minuten – Minuten, die, das wußten Williams und Keane, Thomas' Überlebenschancen stetig verringerten – aber schließlich war es geschafft. Keane vergewisserte sich mit einem kurzen Blick, daß Whitlock immer noch außer Gefecht war, und begann Marlowe hochzuziehen.
Er war schwer, und Keane – von ähnlicher Statur wie Thomas – spannte jeden Muskel bis zum Zerreißen an und knirschte vor Anstrengung mit den Zähnen. Zwar war er körperliche Anstrengungen nicht gewöhnt, doch er stellte zu seiner eigenen Überraschung fest, daß er über erstaunliche Kräfte verfügte. In dem Augenblick, als Williams, der um den Bug herumgeschwommen und an der Hafenmauer hinaufgeklettert war, sich auf den Kai hochstemmte, hievte Keane den bewußtlosen Steuermann über den Rand des Halbdecks.
Er war übel zugerichtet. Keane rollte ihn auf den Bauch und begann, das Wasser aus seinen Lungen zu pumpen. Thomas hatte zahlreiche Blutergüsse und blutete aus mehreren Wunden. Seine Kleidung war zerfetzt und blutig. Keane hielt einen Moment mit seinen Bemühungen inne und tastete nach der Halsschlagader des Steuermanns: Der Puls war schwach, aber regelmäßig.
Nachdem Thomas das halbe Mittelmeer über die Deckplanken gespuckt hatte, wickelten Keane und Williams, der sich inzwischen wieder zu ihm gesellt hatte, ihn in Keanes Cape, und der Zimmerer lud ihn sich auf die Schulter. Thomas hatte bisher weder die Augen geöffnet, noch ein Wort gesprochen. Nach einem letzten Blick auf die Zerstörung und den Mann, der dafür verantwortlich war, fragte Keane: »Worum, zum Teufel, ging es eigentlich?«
Thomas hatte eine mehrwöchige Schiffsreise hinter sich, und nun versuchte die See wieder einmal, ihn in ihrer tödlichen Umarmung zu ersticken.
Eiskaltes Wasser, ein Schlag auf den Kopf und dann Dunkelheit. Sie war nicht unangenehm, umhüllte ihn wie ein schützender Mantel. Doch dann begriff er plötzlich, daß er am Ertrinken war. Er würde den Tod sterben, den alle Seeleute fürchteten: Das Meer würde seine Lungen füllen und ihn in ein aufgedunsenes Monstrum verwandeln, das kaum noch Ähnlichkeit mit einem menschlichen Wesen hätte. Er war wieder auf der Toby. Gebrochene Spanten und vollgesogene Segel hinderten ihn am Schwimmen. Er war festgeklemmt, konnte sich nicht bewegen. Und dann hatte er auf unerklärliche Weise doch den Strand erreicht, und direkt vor ihm lagen Münzen im weißen Sand wie vergoldete Muschelschalen. Hinter ihm am Horizont lauerte ein fremdes Schiff wie eine Spinne im Netz. Thomas griff nach den Münzen, doch sie entglitten seinen Fingern immer wieder. Plötzlich wurde er ins Meer zurückgesogen. Wasser drang in seinen Mund und nahm ihm den Atem. Irgendwann gab die See ihn frei. Jemand saß neben ihm. Zuerst glaubte er, es sei Jamila, die Tuareg-Frau, in glitzernden silber- und goldfarbenen Gewändern, doch dann erkannte er, daß es Serafina war. Er mußte ihr etwas Wichtiges sagen, doch sein Mund war voller Wasser, und er konnte nur ein Gurgeln hervorbringen. Sie erschien ihm wunderschön mit dem dunklen, glänzenden Haar und den leicht schrägstehenden Augen – aber als sie sich umdrehte, sah er die lange Narbe an ihrem Unterkiefer.
So plötzlich Serafina aufgetaucht war, so plötzlich war sie wieder verschwunden. So macht sie das immer mit mir, dachte Thomas und lächelte beinahe. Dann begann jemand an seinen Gliedern zu zerren. Er wollte schreien, doch der einzige Laut, den er zustande brachte, war das Blubbern in seinen Lungen. Thomas war froh, als wieder einmal die Wellen über ihm zusammenschlugen und er in die Dunkelheit zurückkehren durfte.
Sie hatten Thomas Marlowe in John Keanes Haus gebracht und Antonio nach einem Arzt geschickt. Der Doktor tastete den Bewußtlosen ab und stellte die Diagnose, mit der sie bereits gerechnet hatten: Rippen gebrochen, Schlüsselbein gebrochen, eine Kopfverletzung. Falls, sagte der Arzt, es sich dabei um einen Schädelbruch handle, werde der Herr sterben. Er habe sehr viel Salzwasser geschluckt, wodurch sein Organismus geschwächt sei.
Antonio bekam den Befehl, bei Thomas, den sie im Gästezimmer untergebracht hatten, zu bleiben und Keane jede Veränderung seines Zustandes unverzüglich zu melden. Nachdem er Stunden in das Gesicht des Patienten gestarrt hatte, wurden dem Diener allmählich die Lider
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