Serenade für Nadja
selbst dem Rektor auf diese Weise Anrufer vom Hals gehalten. Er wollte also nicht mit mir reden.
So rief ich den Generalsekretär an, auf seinem Handy.
»Ich bin Opfer einer Verleumdungskampagne«, sagte ich, »und möchte kommen und alles klarstellen.«
»Sagen Sie mal, sind Sie nicht krankgeschrieben?«, erwiderte er spöttisch.
»Ja, ich bin krank, aber ich stehe aus dem Bett auf, um meine besudelte Ehre zu retten. Die Zeitung wird übrigens morgen ihren Irrtum eingestehen.«
»Sie wissen, dass gegen Sie ein Disziplinarverfahren läuft?«
»Ja. Und deshalb möchte ich auch kommen und aussagen und die Sache klarstellen.«
»Das können Sie gerne tun. Aber ich warne Sie: Einfach wird das nicht. Es gibt da einige Aussagen zu Ihren Ungunsten.«
»Sie meinen die Verleumdungen von diesem Süleyman, diesem windigen Kerl.«
»Nicht nur er hat uns was erzählt.«
»Wer denn noch?«
»Der Junge von dem Motel, die Kellner vom Pera Palace , die Rezeptionisten, die Zimmermädchen, sogar İlyas.«
Jetzt war ich endgültig aufgeschmissen. Unweigerlich würden sie zwischen dem Black Sea Motel , den Abendessen im Pera Palace und meiner Nacht in Maximilians Zimmer eine Verbindung herstellen. Ich konnte nun erzählen, was ich wollte, glauben würde mir keiner. Aber irgendetwas musste ich trotzdem tun.
»Wann soll ich kommen?«
»Morgen früh. Der Rektor ist ziemlich aufgebracht und möchte, dass dieser Skandal so schnell wie möglich ein Ende nimmt.«
Wir legten auf.
Ich hatte begriffen. Sie würden mich rauswerfen. Ein schnelles Ende des Skandals, das ließ keine andere Deutung zu. IhrEntschluss war schon gefasst, und das Verfahren reine Formsache.
Wenn sie mich rausschmeißen, dachte ich, auch egal, ich finde was anderes, vielleicht was Besseres, und ich soll doch Geld haben, hat Tarık gesagt, Hauptsache raus aus dieser Angelegenheit, ich muss sowieso mein Leben umkrempeln, weg mit dieser Uniarbeit, mal wieder richtig durchatmen, ich kann ja umziehen, in eine andere Stadt, da ist es vielleicht besser, alles halb so schlimm, ziemlich viel Geld soll ich sogar haben, da fange ich ein neues Leben an, ein besseres Leben, eine neue Arbeit finde ich auch, gleich morgen hole ich mir das Geld von Tarık, dann steige ich in ein Flugzeug und fliege wohin, wo mich keiner kennt.
Je mehr mir das alles durch den Kopf ging, umso mehr verspürte ich den Wunsch, zu neuen Ufern aufzubrechen.
Da riss mich die Türklingel aus meinen Träumen von heißem Sand. Und wer da kam, war der lebende Beweis dafür, dass ich diese Träume nicht wahrmachen konnte. Ich musste hierbleiben und kämpfen, allein schon für meinen Sohn. Das Leben hatte mich an Istanbul und an ein bestimmtes Umfeld gebunden. Ich war im Käfig und konnte nicht wie ein freier Vogel hinfliegen, wo es mir passte.
Ich sah Kerem gleich an, dass er nicht Bescheid wusste. Nach dem Essen machte ich vorsichtshalber nicht den Fernseher an, für den Fall, dass die Meldung es bis dorthin schaffte. Das Thema »Sex an der Uni« konnte so manchen Kanal in Versuchung bringen.
Kerem ging zwar im Internet nie auf Nachrichtenseiten, doch um ihn abzulenken, bat ich ihn, die Öffnungszeiten des Archivs in Bad Arolsen herauszufinden.
Ich ging ins Bett, von schmerzlicher Furcht erfüllt. Mir fiel ein, wie ich als kleines Mädchen nachts in jedem Schatten ein Monster gesehen hatte. Wenn im Zimmer etwas knackte, meinte ich immer gleich, böse Männer kämen herein. Dann traute ich mich kaum zu atmen und lag mit zusammengekniffenen Augen angstvoll wartend da. Irgendwann schoss ich aus dem Bett, liefins Schlafzimmer meiner Großmutter und verkroch mich in ihrem Bett. Sie drückte mich an sich und fuhr mir beruhigend übers Haar.
Nun verspürte ich wieder jene Angst. Es würden schlimme Dinge passieren, und ich stand allein gegen die ganze Welt.
17
Nach einer qualvollen Nacht wurde ich noch vor der Morgendämmerung wach und ging sogleich nachsehen, ob an der Tür schon die Zeitung war. Nein, die am Griff hängende Tüte war noch leer.
Ich legte mich wieder hin, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Mein Herz flatterte. Da fiel mir das Medikament wieder ein. Warum war ich darauf nicht schon in der Nacht gekommen? Filiz hatte mir geraten, von den viergeteilten grauen Tabletten nur immer ein Viertel zu nehmen, aber ich schluckte gleich eine halbe, weil mein Herz mir nur schwer zu beruhigen erschien.
Obwohl ich wusste, dass die Zeitung nie so früh kam, stand ich noch drei Mal auf und sah
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