Serenade für Nadja
von Meister Rıza, der dabei war.«
Ich legte die Karte auf den Schreibtisch des Rektors.
Ich war im Begriff zu gewinnen, und Süleyman zitterte um seinen Arbeitsplatz.
»Auf die Verleumdung durch einen kriminell veranlagten Fahrer und die Lügen einer erbarmungslosen Zeitung hin haben Sie die Ehre einer loyalen Mitarbeiterin aufs Spiel gesetzt. Als Mutter, angesehenes Mitglied der Gesellschaft und Tochter zweier pensionierter Lehrer hätte ich ein solches Verhalten von Ihnen nicht erwartet.«
Es war dem Rektor anzusehen, wie es in ihm arbeitete. Vermutlich war er drauf und dran, aufzustehen und sich bei mir zu entschuldigen. Doch als ich schon dachte, es sei geschafft, da mischte sich der unglückselige Generalsekretär ein.
»Darf ich Sie etwas fragen, Frau Duran?«
»Ja, bitte.«
»Als Professor Wagner aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war er doch wieder gesund, oder?«
»Ja.«
»Und im Pera Palace funktionierte auch die Heizung?«
Ich wusste, worauf er hinauswollte, doch durfte ich mir nichts anmerken lassen.
»Ja, die funktionierte.«
»Dann fror es also Professor Wagner dort nicht so wie in Şile.«
»Nein, keineswegs.«
»So, warum haben Sie dann eine Nacht in seinem Zimmer verbracht, in seinem Bett? Etwa auch, um ihm das Leben zu retten?«
»Nein.«
»Und haben Sie auf das Zimmer eine Flasche Martell bestellt, um den Professor aufzuwärmen?«
»Für das alles gibt es eine Erklärung. Professor Wagner hat im Leben viel durchgemacht. Gerade in den Jahren, die er in Istanbul verbracht hat, ist ihm großes Leid geschehen. Er hat mir das alles erzählt, und ich wollte ihn trösten.«
Mit einem Blick auf meinen Busen sagte der Generalsekretär: »Das scheint Ihnen ja glänzend gelungen zu sein.«
Alle außer dem Rektor lachten auf. Der Rektor mochte mich vermutlich und glaubte mir, aber es fehlte ihm an Durchsetzungsvermögen. Da begriff ich, dass ich verloren hatte. Was immer ich noch vorbringen konnte, keiner würde auf mich hören.
»Es tut mir sehr leid, Frau Duran, aber nach diesen Vorfällen scheint mir eine weitere Zusammenarbeit mit Ihnen sehr schwierig. Für das, was Sie bisher hier geleistet haben, möchte ich Ihnen aufrichtig danken. Möchten Sie nun lieber selbst kündigen oder nach Ablauf des Disziplinarverfahrens entlassen werden?«
Seltsamerweise war es mir wichtig, hier nur ja nicht zu zögern.
»Ich schreibe sofort meine Kündigung.«
Der Rektor sah jeden noch einmal kurz an und sagte dann: »Die Sitzung ist beendet.«
Ich stand sofort auf und ging in mein Büro. Dort schrieb ich: »Da ich einer Verleumdung zum Opfer gefallen bin und von der Universitätsleitung keinerlei Unterstützung erfahre, bitte ich um meine sofortige Entlassung.« Ich druckte die Seite aus, unterschrieb sie und ließ sie auf dem Schreibtisch liegen. Dann sammelte ich meine Habseligkeiten zusammen, ein paar Bücher, das Foto von Kerem, Krimskrams aus der Schublade, und ohne mich von irgendjemandem zu verabschieden, verließ ich das Gebäude.
Es wären zwar schon ein paar Leute dagewesen – wie etwa Nermin aus dem Archiv –, denen ich gerne noch alles erklärt hätte, aber dazu hatte ich einfach nicht mehr die Kraft. Ich musste mich schon schwer beherrschen, um nicht zu heulen. Und sobald ich im Taxi saß, war es mit der Beherrschung vorbei, und ich schluchzte los. Der arme Taxifahrer, ein junger Kerl, wusste nicht, was er machen sollte.
»Das geht schon wieder vorbei«, sagte er. »Nur gegen den Tod gibt es kein Mittel.«
Bis wir am Bahnhof Sirkeci vorbeikamen, hatte ich mich einigermaßen gefangen.
»Sollen ich Ihnen einen Tee holen, und einen Simit?«, fragte der Fahrer.
»Schon gut, vielen Dank, lieber nicht.«
Wir fuhren über die Galata-Brücke. In Karaköy legte ein Stadtdampfer ab, während der nächste schon heranfuhr, mit vielen Möwen im Gefolge. Aus den Booten, in denen Fischbrote verkauft wurden, duftete es herüber.
»Soll ich Ihnen ein Fischbrot bringen?«, fragte der Fahrer nun. »Sie scheinen großen Kummer zu haben. Ich schalte auch den Taxameter aus, keine Sorge.«
»Vielen Dank, lieb von Ihnen. Aber ich möchte einfach nur schnell heim.«
In Anatolien ist es Tradition, jeglichem Kummer mit Essen zu Leibe zu rücken. Als meine tatarische Großmutter in Antakya starb, ließen ihre Nachbarinnen es einen Monat lang nicht zu, dass wir uns selber etwas kochten. Abwechselnd tischte jeden Tag eine andere Nachbarin auf, und gegessen wurde das jeweils »für die Seelen aller
Weitere Kostenlose Bücher