Serenade für Nadja
ich, die Ereignisse der vergangenen Woche der Reihe nach ablaufen zu lassen, aber das gelang mir nicht.
Danach zog ich mich an und schminkte mich ein wenig. Ich ließ für Kerem etwas zu essen kommen und legte ihm Geld auf den Tisch. Um acht Uhr ging ich aus dem Haus.
Tarık wohnte in einem der Luxushochhäuser, die in Istanbul überall aus dem Boden schossen. Am Eingang musste man sich ausweisen, aber der Wachmann schien über mein Kommen schon informiert zu sein und begleitete mich zum Aufzug. Als ich oben klingelte, machte Tarık selbst auf. Seine Haushälterin hatte er also weggeschickt.
Als besonders gutaussehend konnte Tarık zwar nicht gelten, aber er hatte einen durchtrainierten Körper. Er war noch jung und ging dreimal in der Woche ins Fitness-Studio. Seine Wohnung war kühl und minimalistisch eingerichtet, ohne Holzelemente, Vorhänge oder bunte Stoffe. Alles war weiß, und an der Wand hing vorwiegend Metallenes. Doch war die Wohnung im 27. Stock und die Aussicht atemberaubend. Durch die bis zum Boden reichenden Fenster des Wohnzimmers leuchteten juwelenhaft die Lichter des Bosporus herein. Sie stammten von den Autos auf der asiatischen Seite, von der Bosporusbrücke, der Militärakademie Kuleli und den majestätisch dahinziehenden Schiffen. Dieser Anblick ließ mich etwas zur Ruhe kommen.
»Komm, trinken wir Wein«, sagte ich.
»Ich habe extra weißen Portwein für dich gekauft.«
»Lieb von dir, aber heute Abend ist mir mehr nach Rotwein.«
Tarık hatte immer guten Wein zu Hause, und diesmal öffnete er eine Flasche Amarone. Das erste Glas leerte er ziemlich hastig, dann küsste er mich, doch ich schob ihn von mir.
»Was hast du denn?«
»Einfach keine Lust.«
Er rückte etwas beiseite.
»Irgendwas ist doch los mit dir.«
»Ich weiß auch nicht«, wehrte ich ab.
Ich wusste tatsächlich nicht, was ich eigentlich wollte.
Mit Blick auf den Bosporus aßen wir an einem Glastisch mit Metallrahmen. Als Sushi-Fan ließ Tarık sich vom ersten Haus am Platze beliefern, von Mori. Er war eben ein Istanbuler Yuppie, mit allem, was dazugehörte.
»Dein Alter ist also weg.«
»Was heißt hier meiner?«
»Das sagt man doch einfach so.«
»Dann ist es ja gut.«
»Und wie war er?«
»Ach, das würde zu lange dauern.«
»Warum?«
»Es war einfach einer dieser ausländischen Professoren, wie schon so viele da waren.«
Mehr bekam er nicht aus mir heraus. Es hätte mir wehgetan, ihm von Max zu erzählen. Und Max gegenüber wäre es mir als Respektlosigkeit vorgekommen.
»Sag du mir lieber, wie du es schaffst, so fröhlich zu sein«, forderte ich ihn auf.
»Warum sollte ich nicht fröhlich sein?«
»Na hör mal, wir haben eine Riesenwirtschaftskrise, der Dollar ist schon bei einer Million siebenhunderttausend Lira, Firmen und Banken gehen pleite, Geschäftsleute werden eingesperrt oder bringen sich um … Du bist doch selber im Finanzbusiness, wie kannst du da so cool bleiben?«
»Weil ich klug bin.«
»Was soll das heißen?«
»Ich war immerhin an der Brown University, und an der Börse habe ich etwas ganz Wichtiges gelernt.«
»Und was? Na sag schon, damit wir Normalsterblichen auch was davon haben.«
»Mit Wissen allein ist es nicht getan, man braucht starke Nerven.«
»Komm, rück schon raus damit.«
Ein wissendes Lächeln ging über sein Gesicht. Er liebte es, über solche Themen zu dozieren.
»Man darf nicht mit der Masse mitlaufen, und man darf nicht in Panik verfallen.«
»Soll heißen?«
»Wenn jeder kauft, muss man verkaufen, und umgekehrt. Und immer ohne Panik.«
»Und jetzt gerade machst du das auch so? Mitten in der Krise? Ist nicht die ganze Börse den Bach runtergegangen?«
Er lachte auf, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und nahm einen großen Schluck Wein.
»Nein, ganz im Gegenteil, wir haben alle gewonnen.«
»Ich auch?«
»Klar. So viel wie noch nie in deinem Leben. Während du deinen Professor herumkutschiert hast, bist du reich geworden.«
Mir klopfte das Herz. Dabei hatte ich mir doch etwas ganz anderes vorgestellt, nämlich dass er mir sagen würde, mein Geld sei weg, und dass ich ihm trotzdem keine Vorwürfe machen würde.
»Und wie ist dieses Wunder geschehen?«
»Schau, es hat doch jeder Muffensausen bekommen und alles in Devisen und ins Ausland geschafft.«
»Und du?«
»Ich habe jede einzelne Lira behalten.«
»Bist du verrückt? Das Geld geht doch kaputt.«
Mir fielen die 4,2 Billionen Reichsmark wieder ein, die man einst für einen Dollar zahlen
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