Serum
Tunneleingang lag in einem Wäscheschrank im Erdgeschoss und führte nach unten in einen geheimen Lagerraum und anschließend unter dem Fluss hindurch, bis er in den Wäldern wieder herauskam. Eisner hatte da unten Kleidung gelagert, falls wir überstürzt aufbrechen mussten, außerdem zusätzliche Handfeuerwaffen und Munition. In einem Geräteschuppen auf dem Nachbargrundstück, wo der Tunnel endete, hatte er den Ford SUV des Hausbesitzers abgestellt.
Wir stoppten die Zeit, die wir bis zum Wagen brauchten, und trafen Vorkehrungen, damit er auch bei der jetzigen Kälte sofort ansprang.
Nach der Übung konnte ich nicht einschlafen, obwohl ich erschöpft war. Meine Freunde hatten mich unter vier Augen dazu gedrängt, Eisner zu vertrauen. Aber ich war noch nicht bereit dazu.
Ich ging in die Diele, wo ich mein halbautomatisches Bobcat BW5 neben dem Fenster stehenließ. Ich fühlte mich damit etwas sicherer, aber nicht viel.
Die Bodendielen knarrten, und Mondlicht sickerte durchs Fenster auf antike Frisierkommoden, auf Zeichnungen an den Wänden, von Tabakfeldern und Indianern aus der Kolonialzeit. Ich roch Asche und Rauch von einem offenen Kamin. Danny war irgendwo draußen, das Gesicht mit Schlamm geschwärzt, ein AR-15 in den Händen, auf Patrouille in den Wäldern.
Danny, der Guerillakrieger.
Ich wollte, ich hätte eine Prise 109, dann wüsste ich, ob Eisner lügt oder nicht.
Ich ging nach unten zum Kühlschrank und machte mir ein Sandwich mit Salami und Cheddarkäse. Es schmeckte wie Pappe, aber ich fühlte neue Energie durch meine Adern strömen.
Als ich wieder nach oben ging, sah ich unter zwei der Schlafzimmertüren noch Licht brennen.
Kim. Und Gabrielle.
Die Tür zu Gabrielles Zimmer war nur angelehnt. Kims war geschlossen, aber ich hatte das Gefühl, dass sie nicht abgesperrt war.
Ich musste daran denken, wie süß Kim damals am Strand geschmeckt hatte, erinnerte mich an den Schwung ihrer Hüften, die Hitze ihres Körpers. An die Schmetterlinge, die ich jedes Mal im Bauch fühlte, wenn ich Gabrielle ansah. Und an andere Zeiten, andere Frauen, bei denen ich dasselbe Knistern empfunden hatte, dem aber immer ein fader Nachgeschmack gefolgt war und das Gefühl, aus einem Traum zu erwachen.
Du warst selbst schuld, Mike, dachte ich. Du hast dir Frauen gesucht, bei denen du genau wusstest, dass es nicht von Dauer sein kann. Du wolltest es nicht anders.
Von den Lichtstreifen unter den Türen schien eine geduldige Einladung auszugehen. Manchmal bekommt man eine zweite Chance, wenn man gar nicht damit rechnet. Sie kündigt sich nicht lautstark an. Und manchmal geht sie vorbei und verschwindet in der Vergangenheit wie ein Traum, an den man sich kaum erinnern kann, wie eine Stadt, durch die man bei Nacht gefahren ist.
Diesmal trugen Eisner und ich beide automatische Waffen. Ich hatte in der vergangenen Nacht Zielübungen damit gemacht.
Er passte sich meinem Tempo an, eine massige Gestalt in engen Jeans, Wanderstiefeln, einer Lederjacke und Strumpfmaske. Ich trug weiße Cordhosen, die mir eine Nummer zu klein waren. Über ein weiches, rotschwarz kariertes Flanellhemd hatte ich einen Kapuzenparka gezogen.
Die Temperatur sank immer noch. Kurz vor der Morgendämmerung hatte es einen weiteren Stromausfall gegeben.
»Das sind Ihre privaten Schießeisen?«, fragte ich. »Was sind Sie, ein Waffennarr?«
»Das Recht, Waffen zu tragen, könnte Ihnen das Leben retten, Mike. Die Leute, die hinter Ihnen her sind, wollen Sie vielleicht nicht nur verhaften.«
Es war zwanzig Minuten nach Sonnenaufgang, und wir marschierten parallel zum Fluss. Ich versuchte, mir landschaftliche Merkmale einzuprägen, falls ich fliehen musste. Hänge. Felsbrocken. Den Funkmast. Unser Atem dampfte. Mitten im Fluss sprang ein Fisch und klatschte spritzend ins Wasser zurück.
»Erzählen Sie mir von Alonzo Otto«, sagte ich.
»Er gehört zum Büro des Direktors der Nationalen Nachrichtendienste. Verbindungsoffizier. Es gibt in jeder Abteilung einen von seiner Sorte. Ein Bluthund. Wenn er seinen Job gut erledigt, hat er eine goldene Karriere vor sich. Wenn er sich erwischen lässt, landet er möglicherweise im Gefängnis und tourt später durch die Fernsehshows. Oliver North bei der Iran-Contra-Affäre war so einer. Gordon Liddy bei Watergate. Otto soll – so sagt das Gerücht – die Kerle persönlich ausgesucht haben, die Sie verhaftet haben. Sie stehen Attila dem Hunnen in nichts nach.«
»Aber warum?«
Er nickte. »Da steckt
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