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Serum

Serum

Titel: Serum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Reiss
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unmöglich, zu sagen, wer getroffen hatte und wer nicht.
    Als ich ihn erreichte, lag er mit Handschellen gefesselt auf dem Rücken und weinte. Er wirkte kleiner als auf den Fotos, magerer, kahlköpfig und mit Brille. Sein Ausdruck zeigte blankes Entsetzen. Seine Hose war blutdurchtränkt. Ich roch Exkremente und Urin. Er hatte sein weißes Hemd mit dem Scotchman-Logo vollgekotzt.
    Hassan schrie: »Ich war es nicht. Ich liebe dieses Land. Mein Cousin ist der, den ihr sucht.«
    Ich glaubte ihm nicht. Keiner von uns glaubte ihm. Unschuldige stehlen keine Pick-ups. Daher war ich erstaunt, als ich während des Verfahrens hörte, dass Hassan gar nicht bewaffnet gewesen war. Den ersten Schuss hatte einer unserer Scharfschützen abgefeuert.
    Und noch überraschter war ich fünf Jahre später, als Hassan per richterlichem Beschluss aus dem Gefängnis kam. Er hatte tatsächlich die Wahrheit gesagt. Sein Cousin war derjenige gewesen, der den Munitionstransporter in die Luft sprengen wollte, und er hatte Hassan belastet, um selbst genügend Zeit zur Flucht zu haben.
    Während ich noch an dieser Straßensperre stand, entkam der Cousin nach Kanada. Ein Jahr später flog er in Lahore selbst in die Luft, als er in seiner Wohnung Rohrbomben bastelte.
     
    Jetzt, da ich langsam auf die Straßensperre in Florida zukroch, erinnerte ich mich an Hassan und das irrsinnige Verlangen nach dem kleinsten Vorwand, auf ihn schießen zu dürfen, das ich an jenem Tag empfand.
    Vor mir bildeten zwei Humvees der Armee ein umgekehrtes V Die Soldaten hielten ihre Waffen schussbereit. Während die Autos sich durchzwängten, pickten sie einzelne Fahrer heraus und ließen sie an die Seite fahren. Dort standen bereits ein roter Focus, ein blauer Jetta, ein grüner Civic und ein überladener Buick Electra. Offenbar suchten sie nicht nach einem bestimmten Fahrzeugtyp. Es ging ihnen um die Fahrer.
    Zum Wenden war es zu spät. Ich konnte nur hoffen, dass die Soldaten nicht schon auf der Suche nach mir waren. Ich sagte mir, dass es ein Dutzend Gründe für ihre Anwesenheit geben konnte. Eine Terrorwarnung. Drogen.
    Noch sechs Autos.
    Ich zappte mich durch die Radiokanäle, ob sie etwas über den Zweck der Straßensperre brachten.
    Jetzt sah ich, dass die Soldaten sich die Führerscheine der Fahrer geben ließen, um sie in einem der Humvees durch den Computer laufen zu lassen. Weitere Soldaten patrouillierten an der Schlange entlang und spähten in die Fahrzeuge, die sich zurückstauten. Sie wirkten jung und angespannt und sprachen gelegentlich in ihre Kehlkopfmikrophone.
    Noch vier Autos. Mit sinkendem Mut sah ich, dass alle Fahrer, die sie herausgepickt hatten, weiß, dunkelhaarig, mittleren Alters und männlich waren. Keine Beifahrer saßen in ihren Autos. Sie waren allein.
    Ich erreichte den Punkt der Fahrzeug-Auslese und versuchte, neugierig zu wirken. In der dunklen Pilotenbrille eines Corporals sah ich mein eigenes Spiegelbild.
    »Würden Sie bitte an die Seite fahren, Sir?«, sagte der Mann kühl.
    »Worum geht’s denn eigentlich?«, fragte ich und versuchte, wie ein unschuldiger, verwirrter Tourist auszusehen. Meine Kehle war wie ausgetrocknet.
    »Terrorwarnung, Sir. Fahren Sie rechts ran, und halten Sie bitte Ihren Führerschein bereit.«
    Ich witzelte: »He, sehe ich vielleicht aus wie ein Terrorist?«
    Er lächelte nicht, runzelte aber auch nicht die Stirn.
    Ich fragte: »Wie kommt es, dass Sie nur die Spur nach Süden kontrollieren? Gäbe es in der anderen Richtung nicht bessere Kandidaten?«
    Er starrte mich an und versuchte, sich darüber klarzuwerden, ob ich mich über ihn lustig machte.
    Dann setzte er die Brille ab. »Warum überlassen wir solche Entscheidungen nicht den Leuten, die mehr davon verstehen als wir, Sir? Sie wissen ja, was der Präsident gesagt hat: Wenn wir tausend Leuten auf die Nerven fallen und dabei ein faules Ei aufspüren, dann war es ein guter Tag.«
    Ich zog rechts ran und sah zu, wie ein Soldat weiter vorne den Unterboden des tiefergelegten Buick mit einem Spiegel untersuchte, während ein anderer den Kofferraum durchwühlte.
    Ich hielt den Atem an, als eine Soldatin meinen Führerschein zum Humvee brachte. Augenblicke später kam sie zurück.
    »Danke, Mr Acela«, sagte sie und fügte hinzu: »Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in Key West.«
    Die Straßensperre wurde im Rückspiegel immer kleiner. Ich näherte mich Key West. Reklametafeln für Restaurants, Hotels, Bootsfahrten, Tauchausflüge flogen vorbei.

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