Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Settlers Creek

Settlers Creek

Titel: Settlers Creek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
Vom Netzwerk:
Augen des Drachen, jedes so groß wie Box’ Kopf, beobachteten, wie er langsam vorbeifuhr.
    Vor dem größten Gebäude hielt er an. Er nahm eine alte Militärdecke, die er schon aus seinem Gepäck gezogen und auf dem Beifahrersitz bereitgelegt hatte, und stieg aus. Er schaute sich um, sah aber niemanden. Schnell ging er zu der umfriedeten Veranda und dann zur Eingangstür. Ein Schild erinnerte ihn daran, daß er die Schuhe ausziehen sollte, aber er ignorierte es. Das ging ihm jetzt am Arsch vorbei. Er würde ohnehin nicht lange bleiben.
***
    Das Innere war ein einziger großer Raum unter einem spitz zulaufenden Dach, die Wände mit aus Flachs gewebten rot-schwarzen Paneelen bespannt. Rundäugige tätowierte Gesichter über dickbäuchigen Körpern hockten übereinander auf den Stützbalken bis zum Dach. Paua-Muscheln schimmerten aus den Gesichtern der Schnitzereien. Mehr davon beobachteten ihn aus den dunklen Ecken, von den Wänden und den Deckenbalken. Sogar ein Pakeha-Junge wie er wußte, daß dies Bilder der Ahnen des Stammes waren – seine Häuptlinge und Helden, die bis sechshundert Jahre vor der Ankunft der ersten Europäer zurückreichten.
    Zum Teufel mit ihnen, dachte er wütend. Sollen sie doch glotzen. Er war wegen seines Sohns hier, ob das diesen holzgesichtigen Arschlöchern nun paßte oder nicht.
    Marks Leichnam lag in einem dunklen Holzsarg am hinteren Ende des Raums. Eine alte Frau saß auf einem Stuhl am Kopfende, ihr Rücken berührte fast die Wand. Sie hatte die Augen geschlossen und das mit Moko verzierte Kinn in eine Schulter versenkt wie eine plumpe Waldtaube. Er erkannte sie als die Frau, die in Tipenes Haus das Essen zubereitet hatte. Vielleicht seine Mutter.
    Um den Sarg herum standen sechs Stühle, auf denen vermutlich bis vor ein paar Minuten noch jemand gesessen hatte. Als Box an den Sarg trat, zuckten die Augen der Frau und öffneten sich. Ihr Kopf fuhr zurück, und sie schielte zu ihm hoch.
    »Wer sind Sie?«
    »Ich bin sein Vater.«
    »Was?«
    Lauter. »Ich bin sein Vater. Ich nehme Mark jetzt mit.«
    Ihr Blick ging zwischen Box und dem Leichnam hin und her. »Das verstehe ich nicht. Was wollen Sie?«
    »Ich bringe ihn nach Hause.«
    Sie war sogar noch älter, als er gedacht hatte, möglicherweise schon über Neunzig. Ihr formloser, schlaffer Körper begann sich zu bewegen, versuchte vom Stuhl hochzukommen. Fettwülste hingen über ihre Knöchel, die in dicken braunen Strümpfen steckten wie in Wurstpellen.
    Box wandte sich von ihr ab und breitete die Decke auf dem Boden neben dem Sarg aus. Es war nicht der Sarg, in dem sein Sohn beim Bestattungsinstitut gelegen hatte. Tipenes Leute waren clever genug gewesen, den nicht mitzunehmen. Eine Leiche zu stehlen war kein Verbrechen, zumindest nicht im Auge des Gesetzes; einen Fünfzehnhundert-Dollar-Sarg zu stehlen aber durchaus.
    »Was machen Sie da? Wir brauchen das hier nicht.«
    »Ist schon okay.«
    Der Sarg stand auf dem Boden, und er mußte sich tief bücken, um seinen Sohn herauszunehmen.
    »Das dürfen Sie nicht! Lassen Sie das!«
    Ein schwerer Gehstock lehnte an ihrem Stuhl. Sie griff danach und versuchte erneut, auf die Beine zu kommen. Box kümmerte sich nicht um sie.
    Blitzschnell rein und wieder raus, das war seine einzige Chance – schnell und diskret wie ein katholischer Priester im Bordell.
    Box schob den linken Arm unter Marks Nacken, seine Finger griffen nach dem Hemd über der linken Schulter, ballten den Stoff in seiner Hand zusammen. Den anderen Arm schob er unter die Beine des Jungen. Der Körper war steif und kalt. Sein Gesicht kam so nahe an die Leiche, daß ihm ein widerlich süßlicher Geruch in die Nase stieg.
    Box ächzte, kam aus der Hocke und versuchte, Mark mit einer einzigen Bewegung wie ein Gewichtheber beim Reißen hochzuheben. Mark fühlte sich ebenso leblos an wie die Hanteln, mit denen Box früher trainiert hatte. Ein stechender Schmerz schoß durch seine Rippen. Hinter ihm schimpfte die alte Frau ununterbrochen, in Englisch und Maori.
    Er schaffte es so gerade, Mark knapp über den Rand des Sargs zu wuchten und auf dem Boden abzulegen. Es tat ihm weh, Marks Körper wie einen Mehlsack zu behandeln, aber hatte er eine Wahl? Jeden Augenblick konnte jemand reinkommen, und dann bräche sein ganzer Plan auseinander. Das war kein Film, in dem er sich mit Gewalt durchsetzen konnte und seine Gegner nach mächtigen Karatetritten im hohen Bogen gegen die Wände klatschten. Das hier war das wirkliche Leben. Box

Weitere Kostenlose Bücher