Seuchenschiff
die Kanzlei eines seiner Scheidungsanwälte. Es war gewöhnlicher Einheitsstil, wenn auch ein Einheitsstil von besserer Qualität. Der Speisebereich entsprach dem eines Restaurants gehobener Klasse, mit Flachbildschirmen an Stelle echter Fenster. Die Stühle waren gediegen und mit weichem Leder bezogen, und die Bartheke bestand aus einem soliden Mahagonibalken.
Er fand einen würfelförmigen Saal für eine kleine Armee von Sekretärinnen außerhalb einer Flucht von mehreren Büroräumen, sowie ein Kommunikationszentrum, bei dem Hali Kasim das Wasser im Munde zusammengelaufen wäre. Er betrat das Zentrum und hielt Ausschau nach einem Telefon oder einem Funkgerät, doch das System wirkte völlig anders als alles, was er bisher gesehen hatte. Da er sich in dem kleinen Raum wie auf einem Präsentierteller vorkam, entschied er sich, es später noch einmal zu versuchen, und setzte seinen Rundgang fort. Abgetrennt von dem funktionalen Teil dessen, was Max in Gedanken als »Manager-Flügel« bezeichnete, waren Schlafzimmer, die wie die Zimmer eines Fünf-Sterne-Hotels eingerichtet waren, inklusive der obligatorischen Minibar. Auf den Nachttischen lagen keine Gideon-Bibeln, sondern Exemplare von Lydell Coopers Buch
Wir vermehren uns zu Tode.
Es gab genug Zimmer für vierzig Personen oder Paare – je nach Belegung. Max vermutete, dass diese Zimmer für die Creme de la creme der Responsivisten-Bewegung reserviert waren, für die Führer, die Direktoren und die wohlhabendsten Gläubigen. Am Ende des Manager-Flügels befand sich eine Suite von Zimmern, die Thom Severance und seiner Frau gehören mussten. Sie waren bei Weitem am luxuriösesten eingerichtet. Das Bad allein hatte die Ausmaße eines Studioapartments, und die Badewanne war groß genug, um einen Rettungsschwimmer dafür zu engagieren.
Max verbrachte die Nacht in Severances Bett und putzte sich am Morgen die Zähne mit der Zahnbürste, die von Severance benutzt werden würde, wenn er die Räume bewohnte. Zu seinem großen Schreck hörte Hanley Stimmen aus dem Wohnzimmer, während er aufstand. Er erkannte Zelimir Kovacs starken Akzent und die präzise Ausdrucksweise. Dann hörte er eine klare, weichere Stimme, die er Thom Severance zuordnete – und da war noch eine dritte Stimme, die seinen Herzschlag beschleunigte. Sie gehörte zu Adam Jenner, dem Deprogrammierer.
Max lauschte ihrer Unterhaltung mit hellem Entsetzen. Jede Enthüllung war schrecklicher als die vorhergehende. Adam Jenner war wirklich Lydell Cooper. Ihr Plan hatte etwas Geniales, was Max widerstrebend bewunderte. Ihre Hingabe an ihr Anliegen war tiefer, als er jemals angenommen hätte. Dies war tatsächlich eine Religion mit Propheten und Märtyrern und einer Schar von Getreuen, die bereit waren, für ihren Glauben alles zu tun.
Severance äußerte sich in einer Weise über Gil Martells Selbstmord, die Max zu dem Schluss kommen ließ, dass Kovac ihn getötet hatte. Und dann hörte Max die grauenhafte Wahrheit über ihre Pläne, ein künstlich verändertes Virus auf die Welt loszulassen und die Hälfte der Menschheit zu sterilisieren.
Diesmal empfand er zwar keine Bewunderung, erkannte aber trotzdem das Geniale des Plans. Die Zivilisation würde eine sorgfältig geplante globale Bioattacke, bei der die Hälfte der Opfer den Tod fände, nicht überleben. Doch was sie da vorhatten, bedeutete dennoch keinesfalls das Ende. Die Menschheit würde um eine Generation zurückgeworfen, würde am Ende jedoch reicher als vorher daraus hervorgehen. Er hatte sich über Coopers Bewegung informiert, als ihm seine Ex-Frau mitgeteilt hatte, dass ihr Sohn ihr beigetreten sei. Cooper hatte geschrieben, dass das finstere Mittelalter niemals zu Ende gegangen wäre, wenn die Pest nicht halb Europa ausgelöscht und eine neue Ära des Wohlstands eingeleitet hätte.
Er war sich ziemlich sicher, dass es so einfach sicher nicht war, aber er fragte sich doch, wie die heutige Welt mit ihren rund um die Uhr stets zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und ihren Hochgeschwindigkeitstransportsystemen darauf reagieren würde. Fünfzig Jahre nach der Pandemie hätte die Bevölkerung die Lücken in ihren Reihen wieder aufgefüllt, und die Welt wäre ein besserer Ort.
Aber dies wäre kein Ort, an dem sich Max länger wohlfühlen würde. Nach seiner Auffassung hatten Cooper, Severance und Kovac ebenso wenig wie jeder andere normale Durchschnittsbürger das Recht zu entscheiden, was für die Menschheit am besten wäre.
Am
Weitere Kostenlose Bücher