Sex and Crime auf Königsthronen
bleiben. Zwölf Jahre später, also 1483, ist er für weitere Morde im Tower verantwortlich. Und diesmal schlägt er familienintern zu.
Die Opfer sind Edwards Königskinder, also Richards Neffen, und diesmal geht es Little Richard darum, höchstselbst die Krone zu tragen. Anwärmen darf Herr von Gloucester den englischen Thron nach dem überraschenden Tod seines royalen Bruders Edward am 9. April 1483.
Mit 32 Jahren wird er Regent für dessen Söhne (13 und 10 Jahre alt). Seine erste Amtshandlung: Er erklärt seine Neffen zu Bastarden. Diese Story hat ja praktischerweise schon sein Bruder George gestreut. Richard lässt die Gerüchte wieder aufleben, lässt die Minderjährigen in den Tower werfen und dann ermorden. Vermutlich mit vergleichsweise humanen Mitteln. Die Prinzen – so raunen frühe Chronisten – werden im Schlaf mit einem Kopfkissen erstickt.
Wie schon Agatha Christie, die große Dame des englischen Kriminalromans, feststellte, kann Mord eben schnell zur Gewohnheit werden, wenn man erst mal erfolgreich mit einem davongekommen ist. Ob Richard wirklich der leibhaftige Mörder des letzten Lancaster-Königs war und sogar seine Neffen meucheln ließ, wird noch immer diskutiert.
Möglicherweise – so die abenteuerliche These einiger weniger Historiker und Romanautoren – gehen die Kindsmorde im Tower in Wahrheit auf das Konto – Achtung Überraschung – von Heinrich Tudor, dem Thronerben in spe. Denn der profitiert am Ende von diesen Morden.
Womit wir endlich wieder beim Papa unseres Kapitelhelden Heinrich VIII. angelangt sind. Meiner Ansicht nach – und damit stimme ich mit der Mehrheit der Forscher überein – hat er weder den Mord an seinem gleichnamigen Vorgänger – König Heinrich VI. – begangen noch die York-Söhne ins Jenseits befördert.
Erstens war der Tudor zu der Zeit, als die drei Morde passiert sind, im französischen Exil, zweitens war Richard von York in der Nacht, als Heinrich Nummer sechs ermordet wurde, nachweislich im Tower und hat später seine Neffen dort wegsperren lassen. Ein paar Monate nach der Inhaftierung sind sie dann spurlos verschwunden. 1674 wurden bei Umbauarbeiten im Tower unter einer Treppe zwei kleine Skelette entdeckt. Sie wurden zunächst als Müll entsorgt und dann in Westminster königlich bestattet. Irgendwem waren die toten Prinzchen wieder eingefallen. 1933 hat man diese Knochen exhumiert und eine Altersbestimmung vorgenommen. Die sterblichen Überreste sind eindeutig Kinderskelette.
Wer Spaß an dem ungelösten historischen Kriminalfall und an skurrilen englischen Klubs hat, der kann Mitglied der 1924 gegründeten »Richard III. Society« werden. Seit bald hundert Jahren fördert der ehrwürdige Verein die Spurensuche zur Entlastung des monströsen York-Königs und unterstützt auch Dissertationen zu dem Thema. Weltweit gibt es 4000 Klubmitglieder, die den Ruf Richards III. nach über 500 Jahren immer noch reparieren wollen und die die gesamte Thronfolge Englands, speziell die Tudor-Dynastie, infrage stellen.
Zu Lebzeiten der Rosenkrieger wird es nicht weniger Zweifler an der Moral und am Recht der Tudors auf die Krone gegeben haben. Bekommen haben sie sie trotzdem. Als Erster ist Heinrich Tudor als siebter englischer Heinrich dran.
Ein königlicher Flüchtling
Um den halbseidenen Lancaster-Nachfahr Heinrich Tudor vor Kriegshandlungen oder Ermordung zu schützen, hat sein umtriebiger Onkel Jasper den Neffen als Teenager in die Bretagne gesegelt. Zum Abwarten und Weintrinken; Tee kommt erst Anfang des 17. Jahrhunderts nach Europa und in Mode. Vierzehn Jahre dauert das Exil des Tudor-Kindes, aber Ferien gehen anders. Der Tudor-Spross sammelt einen Exilhof um sich, übt sich in Kampftechniken, und seine ehrgeizige Mama Margarete Beaufort schickt aus England ein stattliches Taschengeld für Truppen. Jenseits des Kanals bringen sich die Lancaster- und die York-Fraktion derweil munter weiter um.
Erst als Richard Gloucester im Sommer 1483 seine eigenen kleinen Neffen im Tower kaltstellt, hat er sogar in den Augen seiner Anhänger eine Grenze überschritten. Einige Yorkisten unterstützen nun den Lancaster-Bastard im bretonischen Exil. In nur einem Jahr kann der inzwischen 26-jährige Heinrich Tudor Truppen ausheben. Im Sommer 1485 landet er in England und trifft in Mittelengland auf einem sumpfigen Acker bei Bosworth auf Richard III.
Der Tudor entscheidet den Kampf für sich und stülpt sich noch auf dem Schlachtfeld die Eisenkrone seines Rivalen aus
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