Sex and Crime auf Königsthronen
schon des Längeren ein Skandalthema. Der Leibarzt, so wird getuschelt, sei der Monarchie nicht nur politisch, sondern auch privat zu Leibe gerückt.
Es gilt als verdächtig, dass König, Königin und Arzt stets als unzertrennliches Trio auftreten. Was allen Beteiligten ausnehmend gut zu gefallen scheint. Die Ménage à trois mit medizinischer Dauerbetreuung wirkt sich beruhigend auf die Nerven des Königs aus, hebt die Stimmung Mathildes und demonstriert unmissverständlich, wie unverzichtbar Struensee ist.
Tatsächlich hat es zu seinen ersten Amtshandlungen als Arzt gehört, die deprimierte 18-jährige Königin Mathilde mit ihrem zeitweise unzurechnungsfähigen König zu versöhnen. Danach geht man sich in der Zweckehe nicht mehr aus dem Weg. Eine frühe psychotherapeutische Meisterleistung, zumal die vernachlässigte Prinzessin dem Leibarzt und Günstling ihres Gemahls anfangs gründlich misstraut.
Als Struensee Mathildes erstgeborenen Sohn schließlich per Impfung gegen eine grassierende Pockenepidemie schützen kann, soll die hübsche Aristokratin im Sommer 1770 ihr Herz an den ebenfalls nicht unattraktiven Mediziner verloren haben.
Daran besteht heute bei den meisten Historikern kein Zweifel mehr. Uneinig ist man sich nur darüber, ob die Liebe gegenseitig war und wie weit sie ging. Bis ins Bett und zur Geburt von Mathildes Tochter Louise Augusta im Juli 1771? Dann wohl mit Billigung des gehörnten Gemahls, der das Baby anerkennt und höchstpersönlich übers Taufbecken hält.
Oder geht das Ganze nie über schmachtende Blicke bei Bällen und Opernbesuchen, vertrauliche Neckereien beim Kartenspiel und eingehakte Spaziergänge im Park der Sommerresidenz von Hirschholm hinaus? Für diese zwanglosen Vergnügungen gibt es glaubhafte Augenzeugenberichte; der gesamte Hof hat schließlich dabei zugeschaut. Was Biografen, die Struensee oder Mathilde geneigt sind, als sicheres Indiz dafür werten, dass beide zwar sehr vertraut und zwanglos miteinander umgingen, sich aber nicht kopflos in eine lebensgefährliche Liaison gestürzt haben. Und noch einmal: Auch ganz viel möglichst reines Gefühl ist damals Kult.
1774 wird Goethes Briefroman »Die Leiden des jungen Werthers« erscheinen, in dem der junge Rechtspraktikant Werther bis zu seinem Freitod über seine unglückliche, unerfüllte, rein platonische Liebe zu der mit einem anderen Mann verlobten Lotte berichtet. Die gänzlich sexfreie, rein gefühlsschwangere Story trifft den Nerv der Zeit und wird direkt nach Erscheinen europaweit zum Bestseller.
Der Leibarzt und die Königin, so lautet darum eine Erzählvariante, frönen keiner sexuellen Sittenlosigkeit à la Versailles, sondern demonstrieren und genießen Liebe als Seelenverwandtschaft. Ganz im Sinne einer neu aufkeimenden bürgerlichen Empfindsamkeitskultur. Zumindest zu Struensee, dem Mann der ganz großen Ideale, passt diese Deutung der Gefühlslage zwischen ihm und Mathilde nicht schlecht.
Doch ob nun rein seelisch oder nicht, die Hofgesellschaft nimmt dem Bürgersohn Struensee seinen Mangel an Zurückhaltung gegenüber einer Königin übel. Noch übler nimmt die Hocharistokratie Struensees Anweisung, der Adel solle gefälligst seine Schulden bei der Krone begleichen, um Staat und Wirtschaft zu sanieren. Das geht zu weit! Schließlich hat man sich jahrelang auf Kosten der Krone und des Staates prächtig amüsiert.
Fazit der Frustrierten: Der Superminister und Liebling seiner Majestät muss weg. Unerlaubter Sex mit der Königin erfüllt nach damaliger Gesetzeslage praktischerweise immer noch den Tatbestand des Hochverrats und bringt dank Pressekarikaturen auf breiter Front Struensees Feinde unter Klerus, geschassten Beamten, Militärs und Großgrundbesitzern auf die Barrikaden.
Die Situation ist in dieser Umbruchzeit mal wieder paradox: Der Adel muss eine Volksrevolte gegen einen erklärten Volksbefreier anzetteln. Was nur im Namen des Königs geht, der den Reformer leider ganz nach oben gebracht hat und sich anscheinend pudelwohl fühlt in seiner Ehe zu dritt. Selbst in Phasen ungetrübten Verstandes scheint es seiner Majestät egal, ob im Dreieck, hinter seinem Rücken, rein platonisch oder sexuell geliebt wird. Er ist anscheinend glücklich wie ein Kind, solange er nur viel spielen darf, am liebsten mit einem kleinen Mohrensklaven, und die Betonung liegt hier wirklich auf spielen. Mehr nicht.
Eine ärgerliche Idylle für Struensees Feinde. Weshalb der Liebesklatsch zu einer beängstigenden
Weitere Kostenlose Bücher